Netzwerk schaffen
„Unser Ziel ist es, ein Netzwerk zwischen neu ankommenden Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen, die schon länger in Deutschland leben, zu schaffen“ berichtet Andrea Klüpfel, die mit Mouna Bouzgarrou bei IN VIA Würzburg für das KOFIZA-Projekt zuständig ist. „Im lockeren Austausch geben die Frauen ihren Erfahrungsschatz in Erziehung, Bildung, Gesundheit und Gesellschaft an neue Migrantinnen weiter und erleichtern ihnen so den Einstieg in ein neues Leben“, führt Klüpfel aus. Gemeinsam mit Mouna Bouzgarrou hat sie die Würzburger Community aufgebaut. Bouzgarrou verfügt dank ihrer Erfahrungen in der kommunalen Flüchtlingshilfe über gute Kontakte in Flüchtlingskreisen und kann so immer wieder Neuankömmlinge ansprechen. Rund 25 Frauen gehören der Würzburger Community mittlerweile an. Einmal im Monat treffen sie sich im Haus St. Lioba. Raghad beispielsweise ist seit zwei Jahren in Deutschland. Die schüchtern wirkende junge Frau mit den wachen Augen kämpft immer wieder gegen die Einsamkeit. Gemeinsam mit ihrem Mann und den Kindern lebt sie in einer kleinen Wohnung und kümmert sich um die Kinder. Gerne würde sie in ihren erlernten Beruf als Zahntechnikerin zurückkehren, doch sie weiß nicht, wie sie das anstellen soll.Seit Jahren hier
Ähnlich ergeht es Kaira aus Syrien, Sahra aus Somalia und Niakan aus dem Irak. Mit den „Neuen“ sitzen Nada aus Palästina, Hassiba aus Afghanistan und Rana aus Ägypten am Tisch. Sie leben 15 Jahre und länger in Deutschland, sprechen fließend deutsch und haben hier ihre Kinder groß gezogen. Offen erzählen sie von ihren Problemen bei der Wohnungssuche, geben Tipps zu Kita und Schule und informieren über Anlaufstellen, bei denen sie selbst Hilfe bekommen haben.Zwanglose Runden
Neben zwanglosen Kaffeerunden bietet „Zuhause in Bayern“ den Frauen auch Kurse zu Alltagsthemen an. Da geht es um Fragen wie: „Wie funktioniert die Mülltrennung? Wie sieht das Bildungssystem in Bayern aus? Welche beruflichen Perspektiven habe ich als Frau in Deutschland?“, berichtet Andrea Klüpfel. Derzeit in Planung ist ein Argumentationstraining, um besser auf Stammtischparolen und pauschale Angriffe reagieren zu können. Dass das von Interesse ist, bestätigt eine Syrerin, deren Tochter wegen ihres Kopftuchs verbal angegriffen wurde. Neben vielfältigen Informationen und Hilfen finden die Frauen in der Community aber auch ein Stück Heimat, treffen vertraute Gesichter, können reden und lachen. Bei den regelmäßigen Kulturfesten können sie zudem ihre Heimatkultur leben und pflegen, denn „die Herkunftskultur ist ein wichtiger Teil der Frauen und hat ihre unbedingte Daseinsberechtigung“, so Andrea Klüpfel. Das Wichtigste, was die Frauen mitnehmen, ist aber vermutlich die Ermutigung. Um diesem Anliegen noch mehr Raum zu geben, hat Andrea Klüpfel dank der Förderung durch den ZONTA Club Würzburg im Herbst 2017 ein „Geschichten-Projekt“ gestartet. „Zunächst wollten wir aufschreiben, was die Frauen im Hier und Jetzt bewegt“, berichtet Jenifer Gabel von „Demokratie leben“, die die Berichte der Frauen zu Papier bringt. Doch schon bald wurde klar: „Nur nett erzählen reicht nicht. Die Frauen brauchen Raum, um zu sagen, warum sie hier sind und wie es ihnen damit geht. Jede von ihnen hat Dinge erlebt, die für mich in meinem Wohlstand unfassbar sind, und jede von ihnen ist ungeheuer mutig und klug“, sagt die Journalistin.Lebensmut
Hassiba aus Afghanistan etwa beschreibt ihr Leben als „zwei unterschiedliche Leben in einem“: Die erste Hälfte ihres Lebens hat die heute 42-Jährige in Afghanistan verbracht, die zweite Hälfte in Deutschland – und das löse bis heute „Lebensmut und Wehmut“ in ihr aus. Gebannt lauschen die Umsitzenden, wenn Hassiba von ihrem 20 Jahre zurückliegenden Weggang aus der Heimat und den unendlichen Stunden der Einsamkeit berichtet. Sie nicken zustimmend, wenn sie ihre innere Zerrissenheit beschreibt – das Gefühl, hier und dort zu Hause und fremd zugleich zu sein. Sie verfolgen staunend, wie sie jetzt, da die Kinder auf eigenen Beinen stehen, ihr neues Leben plant, Bewerbungen für eine Ausbildungsstelle schreibt und Dankbarkeit dafür formuliert, dass sie in Deutschland leben darf. Derzeit bemüht sich der Träger von IN VIA um eine Verlängerung des Projekts. Geschichten wie die von Hassiba sind dabei ein perfekter Ausdruck dessen, was das Projekt „Zuhause in Bayern“ letztlich ausmacht: „Nur wer selbst in dieser Situation war, kann nachempfinden, welche Probleme der Anfang in einem neuen Land mit sich bringt“, sagt Klüpfel. „Wenn Frauen wie Hassiba ihr Wissen an andere weitergeben können, werden sie zu zentralen Motoren der Flüchtlingshilfe und vermitteln authentisch: Es kann gelingen!“Anja Legge