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      Vor 250 Jahren starb der Malerfürst Giovanni Battista Tiepolo

      Zwischen Heiterkeit und Melancholie

      Als Giovanni Battista Tiepolo mit seinen Söhnen Lorenzo und Giandomenico Würzburg am 8. November 1753 verlässt, hat sich die seit 1744 im Rohbau vollendete Residenz in einen vom wohl größten italienischen Maler des 18. Jahrhunderts geprägten „Planeten“ verwandelt. So beschreiben die italienischen Kunsthistoriker Massimo Gemin und Filippo Pedrocco 1996 das Ergebnis von Tiepolos dreijährigem Würzburger Aufenthalt. Am 27. März 1770, vor 250 Jahren, wird der venezianische Maler in Madrid sterben.

      Tatsächlich eröffnet sich dem Betrachter, wenn er vom Vestibül, der Eingangshalle der Residenz, Stufe für Stufe des von Balthasar Neumann geplanten Treppenhauses im UNESCO-Weltkulturerbe nach oben schreitet, ein ganzer Kosmos, der letztlich einem Ziel dient: der Verherrlichung von Tiepolos Auftraggeber, Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau. Die aus dem Rheingau stammende, mit den Residenz-Bauherren aus dem Haus Schönborn verwandte Familie ist in Würzburg keineswegs unbekannt. 1699, 50 Jahre vor Carl Philipp, ist sein Onkel Johann Philipp zum Würzburger Fürstbischof gewählt worden. In seiner rund 20-jährigen Regierungszeit hat er das Gesicht seiner Residenzstadt nachhaltig verändert.

      Doch wie kommt es zum epochalen Auftrag des fränkischen Duodezfürsten Carl Philipp an den „besten Maler Venedigs“, wie ihn sein Zeitgenosse, der Kunstkenner und Kritiker Francesco Algarotti nennt? Das monumentale Treppenhaus und der  – eigentlich als Esszimmer gedachte – repräsentative „Kaisersaal“ im Mittelpavillon warten auf die Deckenfresken. Jetzt gilt es, diese Leerstellen zu füllen.

      Eine erste „Probebohrung“ mit dem Freskanten Johann Zick, der im Auftrag Carl Philipps die Decke des „Gartensaals“ mit einem farbenfrohen „Göttermahl“ bemalt, ist nicht zur vollen Zufriedenheit des Fürstbischofs ausgefallen. Zick wandert weiter nach Bruchsal, wo er das – ebenfalls von Balthasar Neumann geplante – Treppenhaus der Residenz freskieren wird.

      Ein Schwindler

      Das Würzburger Vakuum, das sich ergeben hat, nachdem der aus Mailand stammende Maler Giuseppe Visconti als Schwindler entlarvt worden ist, soll jetzt ein erstklassiger, europaweit renommierter Freskant füllen: der 1696 in Venedig geborene Giovanni Battista Tiepolo. Den Kontakt vermittelt der in der Lagunenstadt ansässige, in Würzburg geborene Kaufmann und Bankier Lorenz Mehling. So kommt es am 12. Oktober 1750 zum Vertragsschluss. Am 12. Dezember desselben Jahrs trifft der Freskant mit seinen beiden Söhnen und einem Diener in der fränkischen Residenzstadt ein.

      Auch wenn Tiepolo vorerst „nur“ für die Ausstattung des Kaisersaals verpflichtet worden ist – dem Künstler dürfte wohl bekannt sein, dass im Treppenhaus eine wesentlich größere Aufgabe   auf ihn wartet. Die Themen des „Probestücks“, das der Venezianer im Speisesaal zu liefern hat, sind ihm bereits aus einem historisch-allegorischen Programm mit dem Titel „Bescheidene Ratschläge für die Ausstattung des großen Fürstlichen Speisesaals“ bekannt: Die Würzburger Hochzeit Kaiser Friedrich Barbarossas mit Beatrix von Burgund 1156, die Belehnung des Würzburger Bischofs Herold mit dem Herzogtum Franken 1168  und die allegorische Zuführung Burgunds an den Genius des Heiligen Römischen Reichs durch den Sonnnengott Apoll. Die drei Fresken sollen beweisen, wie eng die Verbindung des Hochstifts Würzburg mit dem – die Existenz des geistlichen Staats garantierenden –  „Heiligen Römischen Reiches“ ist.

      Tiepolo löst das Problem der beiden gedrängten Dreieckskappen im von Balthasar Neumann geplanten und von Antonio Bossi stuckierten Saal, indem er die historischen Szenen nach Theaterart inszeniert: „Er gab die Episoden nun als normale Theaterszenen wieder, die noch teilweise hinter dem Vorhang verborgen waren, welchen die beiden Stuckputten als Bühnenarbeiter lüften (ein Vorhang, den er tatsächlich sorgfältig drapiert und vergoldet haben wollte und der wie ein echter Bühnenvorhang aus zwei Lagen bestand)“, schreiben Pedrocco und Gemin.

      Ein Himmel ...

      Den idealen Betrachterstandpunkt bietet der Zugang vom durch Antonio Bossi feurig stuckierten „Weißen Saal“: „Ziel war es, jeden, der dort hinaufblickte, jene Figuren als wirklich lebende Wesen wahrnehmen zu lassen, als wären seine Mitmenschen an einen Himmel versetzt, der sich wie der natürliche Himmel über dem Saal ausmachte“, so die beiden italienischen Kunsthistoriker.

      In knapp einem Jahr, vom Frühjahr 1751 bis zum Sommer 1752, vollendet Tiepolo die drei Fresken im Kaisersaal. Als Reverenz an seinen Auftraggeber hat der Maler ein Kryptoporträt Greiffenclaus in die Darstellung der Hochzeit Friedrich Barbarossas eingearbeitet: Der historische Fürstbischof Gebhard von Henneberg, der den Kaiser 1156 getraut hat, ähnelt seinem rund 600 Jahre später amtierenden Nachfolger.

      Fürstenlob

      Gewaltig wird das gemalte Fürstenlob im Treppenhaus der Residenz ausfallen: Mit dem Vertrag vom 29. Juli 1752 wird der zweite Würzburger Großauftrag Tiepolos besiegelt. „Die prachtvolle Treppe führt in einem einzigen Lauf von der Vorhalle im Erdgeschoss zu einem Treppenabsatz empor; dort teilt sie sich in zwei parallele Läufe, die im ersten Stock – direkt unter Tiepolos schließlich vollendeten Fresken – in eine weite, das Treppenhaus umsäumende Galerie münden“, beschreiben Pedrocco und Gemin die Situation vor Ort. Tiepolo muss also darauf Rücksicht nehmen, dass sich die Betrachtung des heute mit seinen 677 Quadratmeter Fläche größten zusammenhängenden Deckenfreskos der Welt im Gehen entwickeln wird.

      Welttheater

      „Tiepolos Deckenbild entwirft die Illusion eines sich über den Köpfen abspielenden, einzigartigen Welttheaters“, charakterisiert der Kunsthistoriker Erich Schneider 2005 das Ende September 1753 vollendete Fresko im Treppenhaus. Auch wenn man das Fresko von keinem Standpunkt innerhalb des Treppenhauses sinnvoll als Ganzes erfassen könne, sei es laut Schneider „von Tiepolo auf kunstvolle Weise in das Treppenhaus von unten nach oben, vom Dunkel ins Licht, von der Enge in die Weite, von der irdischen in eine überirdische Sphäre Emporschreitens eingebunden worden.“ Letztlich dient Tiepolos luftig-ironisches, verrätseltes und zwischen Erde und Himmel, Menschen und Göttern, Europa und Amerika, Asien und Afrika spielendes Fresko nur einem Ziel: der Verherrlichung des Fürstbischofs Greiffenclau.

      Auf die Bedrohung der scheinbar heiter-unbeschwerten Welt des Spätbarock weist der Kunsthistoriker Roberto Calasso in seiner 2010 erstmals auf Deutsch publizierten Monographie über „Das Rosa Tiepolos“ hin: „Es liegt über der Szene Europas (…) im Unterschied zu den anderen Kontinenten ein Hauch von Vagheit und Melancholie, während vom Himmel Trompetenschwall erklingt und auf halber Höhe das Medaillon des Fürstbischofs von Greiffenklau mit seinem Greifen schwebt. Das Tier ist bei weitem das lebendigste, in seiner zuckenden Beweglichkeit auch das bedrohlichste Wesen in der edlen, besinnlichen Gesellschaft, die Europa flankiert.“    

      Stefan W. Römmelt