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      Mit den „Aids-Volonteers“ unterwegs im namibischen Ovamboland

      Wüstenpatrouille der Nächstenliebe

      Mit den „Aids-Volonteers“ unterwegs im namibischen Ovamboland
      Im Norden Namibias hat es monatelang nicht mehr geregnet. Die Hirse auf dem ausgedörrten Boden gedeiht so schlecht wie schon lange nicht mehr. Kaum einen Meter hoch stehen die kolbenartigen Rispen. Und so geht der Blick ungehindert über die endlose Trockenebene des Ovambolandes. Bis zur kleinen Kirche von Enoleu, die wie verloren in der Savanne steht, sind es noch mehrere Kilometer. Aber man sieht sie schon von weitem – und davor einige leuchtend rote Punkte. Beim Näherkommen entpuppen sich die „Punkte“ als drei junge Leute in knallroten T-Shirts. Clementine Festus, Otilie Nakale und Timoteus Paulus haben sich heute, so wie jede Woche, an der Kirche getroffen, um ihren Einsatz zu organisieren. Nach der „Dienstbesprechung“ ziehen sie los, ein gutes Dutzend Kilometer durch die glühende Sonne, die am späten Vormittag schon hoch am wolkenlosen Himmel steht.
       
      Die beiden Frauen und der junge Mann gehören zu den über Tausend Freiwilligen der „Catholic Aids-Action“ Namibia (CAA), einer großen Bürgerinitiative gegen die Immunschwächekrankheit HIV/Aids, der heute im gesamten südlichen Afrika schon wesentlich mehr Menschen zum Opfer fallen als der Malaria, der traditionellen Geißel des Schwarzen Kontinents. Auf den roten T-Shirts fällt ein schwarzes Kreuz auf herzförmigem weißen Schild ins Auge. Um den Kreuzesstamm ist eine rote Schleife geschlungen, international als Signet der Aids-Hilfe bekannt. Von der Schulter der „Volonteers“, wie sie sich stolz nennen, baumelt eine blaue Leinentasche mit Pflegematerial – Verbandszeug, Desinfektionsmittel, Latexhandschuhe zum Schutz gegen Infektion, einige Vitamin- und Schmerzpräparate: Standardausrüstung der Aids-Freiwilligen, die in Namibia dem lange totgeschwiegenen Massensterben durch die Seuche den Kampf angesagt haben. Aufklärungsarbeit unter den Gesunden, Pflege der Kranken, liebevolle Zuwendung, Essen für die, die sich nicht mehr selbst ernähren können und, in der letzten Phase, Sterbebegleitung bis zu einem würdigen Tod – so lautet das Aktionsprogramm der CAA-Freiwilligen.
      Von der kleinen Kirche von Enoleu bis zum Kral von Justus Zebulon sind es14 Kilometer Sandpiste, einem typischen Runddorf der Ovambo. Von einer Palisade aus dürren Ästen vor wilden Tieren und ungebetenen Gästen geschützt, ducken sich im Innenraum acht Rundhütten unter tief heruntergezogenen dicken Strohdächern. Jedes Familienmitglied hat hier seine eigene Hütte. Zebulon, das Familienoberhaupt, bewohnt die größte Hütte im Zentrum der wehrhaften Wohnanlage.
       
      Tief muss man sich bücken, um unter der Kante des Strohdachs durch das runde Türloch zu schlüpfen. Da der Rundbau aus luftgetrockneten Lehmziegeln ansonsten fensterlos ist, müssen sich die Augen erst langsam an die Dämmerung im Innern der Hütte gewöhnen. In dem kreisrunden Raum herrscht eine angenehme Kühle. Auf der Matratzenkante eines grob gezimmerten Bettes – das einzige Möbelstück im Raum – sitzt Justus Zebulon und freut sich, als er Otilie Nakale sieht, „seine“ Helferin, Pflegerin und Trösterin. Sonst kommt nämlich schon lange niemand mehr zu Besuch. Selbst sein Familienclan, der in den anderen Hütten des Krals lebt, hat nicht mehr den unbefangenen Umgang mit ihm wie früher. Zu oft sind Ausreden bei der Hand, wenn er nach seinen Enkeltöchtern Rena oder Clementine ruft.
       
      Menschlich verständlich, denn Justus Zebulon bietet keinen schönen Anblick. Sein Körper, vor allem die Beine, sind über und über von beulenartigen Geschwüren bedeckt. Man könnte an Lepra denken; doch die ist es nicht, und die wäre heilbar. Justus Zebulon ist unheilbar krank. Er hat Aids im letzten Stadium, und die dunklen Beulen sind Kaposi-Sarkome. Otilie Nakale wäscht vorsichtig die schrundige Haut, pudert die unförmigen Geschwülste und erneuert die Verbände. „Hast du schlimme Schmerzen?“, fragt sie. Justus nickt: „Wie Messerstiche.“ Otilie Nakale lässt ihm eine Packung Panadol da: „Die kannst du ruhig drei Mal am Tag nehmen. Dann kannst Du es aushalten.“
       
      Justus Zebulon ist einer von schätzungsweise 350000 Aids-Kranken in Namibia. Jeder vierte Erwachsene im Land trägt das Todesvirus in sich. Nach UN-Statistiken werden die Hälfte der heute lebenden Teenager an Aids sterben. Mancherorts werden auf den explosionsartig wachsenden Friedhöfen die Gräber schon auf Vorrat ausgehoben – und dabei ist der Gipfelpunkt der Wachstumskurve dieser Killerseuche noch längst nicht erreicht.
       
      Justus Zebulon ist erst 49. Ob er noch 50 wird, ist mehr als ungewiss. 1974 hatte er auf der Suche nach Arbeit das heimische Ovamboland verlassen und einen Job als Minenarbeiter am Oranje-River im Süden des damals noch Südwestafrika genannten Namibia bekommen. Nur einmal im Jahr gab es Heimaturlaub. Justus nahm sich, wie fast alle seine Minenkumpels, am Arbeitsort eine Zweitfrau. Dass die vor ihm bereits andere Männer hatte und sich bei einem das tödliche Immunschwächevirus eingefangen hatte, wusste er damals nicht. 1994 brach dann auch bei ihm „die neue Krankheit“, wie die Leute damals sagten, aus: eine hartnäckige Bronchitis, ständiges Nasenbluten, eine Hepatitis und immer größere körperliche Schwäche waren die Symptome. Für die Minendirektion war er damit unbrauchbar geworden. Gegen ein kleines Handgeld als Abfindung musste er auf alle weiteren Ansprüche verzichten und kehrte heim in den Norden. Dort fand er seine erste Frau todkrank vor. Er hatte sie beim letzten Besuch angesteckt, das Virus weitergegeben. 1998 ist sie gestorben, ebenso wie das jüngste seiner fünf Kinder. Die Todesursache war immer die gleiche: Aids. Justus sieht seine Lage illusionslos: „Jetzt bin ich dran“, sagt er. Und er hat nur noch den einen, bescheidenen Wunsch, in der letzten Phase seines Lebens nicht auch noch hungern zu müssen. Und: „Betet für mich.“
      Am späteren Nachmittag hat derweil „Volonteer“ Timoteus Paulus, Otilies Kollege, schon seinen zweiten Besuch an diesem Tag gemacht. Pauline Ipinga ist 52 und Mutter von sieben Kindern. Sie liegt apathisch vor der Hütte auf einer Decke, durch ein Sonnendach aus Blättern vor der stechenden Hitze geschützt. Ihre Arme und Beine sind dünn wie Besenstiele. Auch sie hat Aids im letzten Stadium. Vor vier Jahren erfuhr sie, dass sie HIV-positiv ist – angesteckt von ihrem Mann, Wanderarbeiter wie Justus. Wo er heute lebt, weiß Paulina nicht. Er hat sie mit den Kindern einfach sitzen gelassen, als er von ihrer Krankheit erfuhr.
       
      Bis vor wenigen Wochen konnte die völlig abgemagerte Frau durch Handarbeiten wie Körbe flechten noch so viel verdienen, dass sie und ihre Kinder einigermaßen über die Runden kamen. Doch das geht jetzt nicht mehr – die Finger versagen den Dienst. Der Gedanke an die Zukunft ihrer Söhne und Töchter quält Pauline Ipinga und lässt sie kaum noch schlafen. Der baldige Tod scheint sie hingegen nicht zu schrecken. „Ich hoffe, dass Gott mir weiter beisteht und mir in der letzten Zeit meines Lebens Kraft gibt“, sagt sie und fügt noch leise hinzu: „Meinem Mann, der mich angesteckt und in dieses Elend gebracht hat, habe ich verziehen.“
       
      Bevor Timoteus, der CAA-Freiwillige, sich verabschiedet, betet er mit Pauline gemeinsam das Vaterunser. Und ein Lied möchte sie noch singen: „Holy Lord, we praise thy name – Großer Gott wir loben Dich.“ Gotteslob trotz tiefster Not und extremem Leiden. Der biblische Dulder Hiob hat in Namibia viele Söhne und Töchter. Für Timoteus sind sie alltäglicher Anblick; denn sein Geld verdient er als Bestatter, und die meisten seiner Toten sind an der selben Krankheit gestorben: Aids.
       
      Die große Wende, den Sieg über die schlimmste Seuche seit den Pest-, Cholera- und Pockenepidemien vergangener Jahrhunderte wird hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft die Wissenschaft erringen. Bis dahin bleiben nur kleine Schritte: Aufklärung, Nicht-Stigmatisierung der Opfer, Liebe, Pflege und Zuwendung. Die meist noch jungen Freiwilligen der katholischen Aids-Aktion Namibias geben durch ihren selbstlosen Dienst Mitmenschen auch in aussichtsloser Situation Hoffnung und die Gewissheit, nicht ausgestoßen zu sein. Bedeutsam für die Zukunft ist sicher auch, dass sich die „Volonteers“ selbst um einen neuen Lebensstil bemühen: Enthaltsamkeit und Treue rangieren in ihrer Werteskala vor Kondomen, die zu verteilen mehr oder weniger das Einzige ist, was bislang der Regierung des Landes einfiel. In den Hütten von Enoleu und den Shantytowns von Katutura am Rande von Windhuk wächst nun inmitten des Todes eine bemerkenswerte Kultur des Lebens.