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      Bei einem Akademieabend der Domschule Würzburg ging es um „Macht und Verantwortung“ in der katholischen Kirche

      Wie Kirche mit Missbrauch umgeht

      Seit dem Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsfälle im kirchlichen Raum 2010 hat sich eine Menge verändert. Betroffene wurden angehört und ihr Leid anerkannt, Gutachten erstellt, Präventionskurse eingerichtet. Doch noch immer erleben es Betroffene, dass Vertreterinnen und Vertreter der Kirche sie unsensibel behandeln und retraumatisieren. Ein Akademieabend der Domschule im Würzburger Burkardushaus hat das Thema aufgegriffen.

      Unter dem Titel „Macht und Verantwortung“ ging es vor allem um die Frage, ob und wie Verantwortungsträger ihrer Verantwortung gerecht werden. Referate, eine Gesprächsrunde sowie Stimmen aus dem Publikum ergaben ein komplexes Bild, das den Eindruck vermittelte: Die kirchliche Wirklichkeit kennt beides, das Übernehmen von Verantwortung und das schädigende Ausüben von Macht.

      Komplexes Thema

      Zur Diskussion auf dem Podium versammelten sich Bischof Franz, der Salzburger Dogmatikprofessor Dr. Dr. Hans-Joachim Sander und der Kinderschutzexperte des Vatikans, Pater Dr. Hans Zollner vom Centre for Child Protection in Rom. Bischof Franz berichtete über seine eigenen Erfahrungen mit Menschen, die Missbrauch erlitten haben. Solche Begegnungen helfen nach seinen Worten dabei, die Komplexität des Themas Missbrauch zu begreifen. „Man lernt so viel über sich selbst, über die eigenen Grenzen und die eigene Ohnmacht“, bilanzierte er. Gemeinsam gelte es auszuhalten, wenn Worte fehlen. Zugleich nehme er bei Betroffenen Ängste wahr. „Es gibt eine große Angst der Betroffenen, dass über sie verfügt wird, dass sie dafür herhalten müssen, das Image der Kirche zu verbessern“, ergänzte er.

      Im Bistum Würzburg sorgt derzeit die Unabhängige Aufarbeitungskommission für die Untersuchung von Missbrauchsfällen. Zudem gibt es einen Betroffenenbeirat, der die Interessen von Betroffenen vertritt. Für dessen Arbeit dankte der Bischof ausdrücklich. Vertreter beider unabhängiger Gremien nahmen am Akademieabend der Domschule teil. Als Problem wertete der Bischof, dass die Aufarbeitung von strafrechtlich verjährten Missbrauchsfällen zwar unabhängig erfolgt, aber von der Kirche ausgeht, nicht vom Staat. Das bringe die Gefahr mit sich, dass die Glaubwürdigkeit dieser Aufarbeitung angezweifelt werde. Er selbst habe bei einem Treffen der Freisinger Bischofskonferenz mit der bayerischen Staatsregierung diesen Punkt angesprochen, berichtete der Bischof. Handlungssicherheit mit staatlicher Hilfe fände er wünschenswert.

      Rolle der Medien

      Jesuitenpater Zollner hob positiv hervor, dass es in der Kirche Menschen gibt, die sich für die Aufarbeitung von Missbrauch einsetzen. Der Moderator des Abends, Matthias Drobinski, Journalist der Zeitschrift „Publik-Forum“, konfrontierte Zollner mit dem Verhalten des emeritierten Papstes Benedikt XVI. nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens im Januar. Entstanden sei der Eindruck, dass Benedikt XVI. nur zugebe, was nachweisbar sei, äußerte Drobinski. Zollner widersprach nicht, ließ jedoch Zweifel an der Rolle der Medien erkennen. In den Medien kämen positive Beispiele nicht vor oder nur marginal, kritisierte Zollner. „Es ist unglaublich demotivierend für Leute, die in diesem Feld unterwegs sind.“

      Zudem wies der Pater darauf hin, dass die kirchlichen Verhältnisse in jeder Region der Welt unterschiedlich seien. „Nichts ist weiter entfernt von der Wirklichkeit als die Behauptung, dass die katholische Kirche ein hierarchischer monolithischer Block wäre“, betonte er. Dem riesigen Spektrum an Erwartungen gerecht zu werden, das die Öffentlichkeit an die Kirche richte, sei vor diesem Hintergrund kaum möglich.

      Hilfe von außen nötig

      Dogmatikprofessor Sander beobachtet bei der Kirche „eine Scheu, um nicht zu sagen eine Angst vor Selbstrelativierung“. Die Selbstrelativierung sei peinlich, gleichzeitig jedoch unumgänglich, weil die Kirche nicht die notwendigen Mittel habe, um das Missbrauchsproblem aus eigener Kraft zu lösen. Daher brauche die Kirche Hilfe von außen. Die Schilderungen von Betroffenen zwingen Vertreterinnen und Vertreter der Kirche nach Sanders Worten dazu, sich mit den eigenen Abgründen zu konfrontieren. Jede betroffene Person könne aus eigener Erfahrung von der Unglaubwürdigkeit der Kirche erzählen. Sander sprach vom „Lehramt der Betroffenen“, das aufzeige, wie es in der Kirche nicht weitergehen dürfe. Aus seiner Sicht sind einschneidende Konsequenzen nötig wie etwa Demokratisierung, Machtteilung und ein Abschied von der traditionellen Sexuallehre.

      Zum „Lehramt der Betroffenen“ äußerte sich auch Bischof Franz. Jede einzelne Missbrauchsgeschichte sei unterschiedlich, stellte er fest, und es gebe keine Spezialrezepte. Die Kirche stehe aber vor der Aufgabe, sich den systemischen Zusammenhängen zu stellen. Missbrauch werde begünstigt durch asymmetrische Beziehungen zwischen Menschen, also durch fehlende Gleichrangigkeit. „Asymmetrische Verhältnisse sind das Einfallstor für Missbrauch“, erklärte der Bischof. Daher sei zu fragen: Gibt es Supervision? Wie wird in der Kirche mit Personal umgegangen? Welche Bilder von Gott wirken sich aus?

      Glaube und Leid

      Zu Beginn des Akademieabends hatten Hans-Joachim Sander und Hans Zollner in Referaten Missbrauch im kirchlichen Raum aus theologischer Perspektive analysiert. Dogmatikprofessor Sander deutet die Wirklichkeit des Missbrauchs als Glaubensproblem. Der Frage nach dem Glauben an Gott gehe die Frage von Missbrauchsbetroffenen voraus: „Glaubt ihr uns?“ Mit dem Leid der Betroffenen verknüpfe sich die Frage, wie ein Ja zum kirchlichen Glauben noch möglich sei. Aus Sanders Sicht resultiert aus dem Missbrauch eine zwingende Reformnotwendigkeit, die der Reformdialog Synodaler Weg derzeit zur Sprache bringe. „Ich sage Ja zum Synodalen Weg, obwohl er wahrscheinlich nicht erfolgreich sein wird.“ Die Kirche sei unter den gegebenen Bedingungen nicht reformierbar, prognostizierte Sander. Er empfahl seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, sich glaubwürdig dem auszusetzen, was in der Kirche und im eigenen Leben unglaubwürdig sei.

      Wer ist verantwortlich?

      Zollner wies in seinem Beitrag fehlende Rechenschaft als „typisch katholisch“ aus. Am Ende wisse man sehr oft nicht, wer wann für was verantwortlich gewesen sei. Rechenschaftspflicht sei kein katholisches Wort, stellte Zollner fest. Vor diesem Hintergrund stelle sich für die Kirche die Herausforderung, Macht zu teilen, wobei er kommentierte: „Es scheint fast nichts schwieriger zu sein in der katholischen Kirche.“

      Den Beiträgen der Podiumsteilnehmer folgten Stimmen aus dem Publikum. Eine Frau schilderte, wie sie einer leitenden Ordensfrau im Bistum Würzburg ihre Missbrauchserfahrungen mitgeteilt habe. Die Ordensfrau habe ihr rundheraus gesagt, dass sie ihre Schilderungen für „nicht plausibel“ halte. „Was wir erleben als Betroffene, ist beschämend“, bekräftigte die Frau. Teilnehmende auf dem Podium bestätigten, dass Betroffene in der Kirche nach wie vor Mauern vorfinden. Und dass sich Betroffene selbst ermächtigen können, indem sie diese Mauern anklagen, wenn ihre seelische Situation dies zulässt. Professor Sander: „Keine Mauer ist für die Ewigkeit gebaut.“

      Ulrich Bausewein