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      Corinna Paeth leitet seit einem Jahr das Recollectio-Haus in Münsterschwarzach

      Wenn sich die Sinnfrage stellt

      Jeder Mensch hat hierzulande die freie Wahl, wie er sein Leben gestaltet. Ob er alleine lebt oder in einer Partnerschaft. Ob er Handwerker, Kaufmann oder Priester wird. Die getroffene Wahl allerdings muss nicht das ganze Leben lang gelten. „Die Frage nach der Lebensform ist deshalb bei uns immer ein Thema“, sagt Psychotherapeutin Corinna Paeth, die seit gut einem Jahr das Recollectio-Haus der Benediktinerabtei Münsterschwarzach leitet.

      Zufriedenheit mit dem, was man tut, ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass man das, was zu machen ist, auf Dauer gesund tun kann. In die 1991 gegründete Einrichtung der Benediktinerabtei kommen Priester, Ordensleute und andere Mitarbeiter im Kirchendienst, die keine rechte Freude mehr an ihrem Tun haben. Weil alles viel zu viel ist. Weil die Erwartungshaltungen als zunehmend unerfüllbar empfunden werden. Oder auch, weil sie sich nicht mehr richtig mit ihrem Beruf und der damit verbundenen Lebensform identifizieren können.

      Kirchenmitarbeiter, die mit ihrem Beruf nicht mehr zurande kommen, werden im Recollectio-Haus psychotherapeutisch und geistlich begleitet. Vor allem die Nachfrage nach ambulanter Begleitung ist laut Corinna Paeth in den letzten Jahren gestiegen. 2018 hatte das Haus 169 „Gäste“, wie die Besucher und Klienten genannt werden. 92 besuchten einen Kurs, 107 wurden ambulant begleitet. Im vergangenen Jahr ließen sich 119 Priester, Ordensleute, Gemeindereferentinnen, und Pastoralreferenten aufgrund psychosomatischer Probleme, drängender Fragen oder einer Lebenskrise ganzheitlich ambulant begleiten.

      Kein Privatleben mehr

      Aufgrund steigender Anforderungen ist es heute schwer, mit ungebrochener Energie Jahr für Jahr Dienst zu tun. Das sieht Corinna Paeth vor allem bei Priestern. „Die Bürokratie steigt, Priester müssen inzwischen auch Manager sein“, sagt die 45-Jährige, die seit 2016 im Recollectio-Haus tätig ist. In immer größeren pastoralen Räumen muss vielerorts mit immer weniger Personal versucht werden, das kirchliche Angebot aufrecht zu erhalten. „Die eigentliche Seelsorge nimmt angesichts wachsender Verwaltungsaufgaben teilweise nur noch den zweiten oder dritten Rang ein“, schildert die Psychologin. So haben sich viele Priester ihren Beruf nicht vorgestellt.

      Auch in einem Büro wird man sein Pensum nicht immer freudig abarbeiten, doch man weiß, dass bald Feierband ist und man nach Hause gehen kann. Dann ist Zeit, die Füße hochzulegen, einem Hobby nachzugehen oder sich mit Freunden zu treffen. Viele Priester kennen das nicht. „Ihr Privatleben liegt oft brach, sie gehen keinen Hobbys nach und haben kaum Zeit für ihre Herkunftsfamilie“, sagt Paeth. Nicht wenige denken: So ist das nun mal, wenn man Priester ist. „Doch auch ein Priester ist ein Mensch.” Also ein soziales Wesen mit dem Bedürfnis, mal Zeit ganz für sich zu haben, oder Zeit ganz ohne Zwänge mit anderen zu verbringen.

      Ohne Auszeiten geht es nicht

      Abends zur Entspannung einen Thriller zu lesen oder fernzusehen, das ist selbstverständlich auch einem Priester erlaubt. Wer sich solche Auszeiten jahrelang missgönnt, wird irgendwann ausbrennen. Was viele Seelsorger daran merken, dass sie sich schlecht fühlen. Paeth: „Sie spüren, dass der Körper plötzlich anders reagiert als gewohnt.“ Manche beginnen, zu schwitzen. Andere stellen ein Zittern der Hände fest. Wieder anderen werden von einem beschleunigten Herzschlag beunruhigt. Einige Gäste, die Corinna Paeth begleitet, sind mit ihren Gefühlen schon lange nicht mehr in Kontakt. Sie leben vor allem mit dem Kopf. Und nicht mit dem Bauch.

      Manchmal ist Corinna Paeth sehr besorgt um die Menschen, die in ihrem Haus Erholung, Orientierung und Unterstützung suchen. Kürzlich zum Beispiel begleitete sie eine Gruppe von Mitarbeitern im pastoralen Dienst, die eine Woche im Recollectio-Haus verbrachten: „Ich war erschrocken, wie erschöpft viele dieser Gäste waren.“ In Einzelgesprächen stellte sie sogar fest, dass sich einige in einer depressiven Phase befanden: „Doch sie wurden nicht psychotherapeutisch begleitet.“ In dem Wochenkurs lernten die Teilnehmer, mit Emotionen umzugehen, ihre psychischen Abwehrkräfte zu stärken und Stress besser zu managen.

      „Nein!“ sagen lernen

      Gestressten Menschen hilft oft schon, zu hören, dass sie nicht immer Spitzenleistung bringen müssen. Vor allem nicht rund um die Uhr. Die Psychotherapeutin ermuntert in den Gesprächen dazu, einem Hobby nachzugehen. Und hin und wieder: „Nein!“ zu sagen. Zwar ist ein Priester gefordert, wenn abends das Telefon klingelt und jemand bittet, dass er kommt, weil ein Angehöriger im Sterben liegt: „Doch der Pfarrgemeinderat, der abends anruft, kann auf morgen vertröstet werden.“ Paeth hilft, Auszeiten zu finden, und unterstützt pastorale Mitarbeiter dabei, die Vielfalt der Aufgaben zu gewichten: Was ist wirklich absolut dringend? Was von untergeordneter Bedeutung?

      Dauerstress kann in eine chronische psychische Krankheit münden. Auch das gibt es bei Priestern und Laien im Kirchendienst. Je nachdem, wie gravierend die Erkrankung ist, kann sie einem Aufenthalt im Recollectio-Haus auch entgegenstehen. „Wir können keine Gäste aufnehmen, bei denen Suizidalität eine Rolle spielt, oder die ein akutes Suchtproblem aufweisen“, so Paeth. Aus diesem Grund wird mit jedem Interessenten ein Vorgespräch geführt. Stellt sich heraus, dass eine gravierendere Form der Depression vorliegt, dass der Gast ein Alkoholproblem hat oder dass er internetsüchtig ist, wird auf andere Hilfsangebote verwiesen: „Denn wir sind keine Klinik.“

      Im Recollectio-Haus wird deutlich, dass der kirchliche Raum heute alles andere als ein einfaches Wirkungsfeld ist. Natürlich waren die Anforderungen an Priester schon immer hoch. Doch in den aktuellen, von Macht- und Kindesmissbrauch erschütterten Zeiten ist die Arbeit noch mal schwieriger geworden, zumal Priester heute oft nicht mehr als unantastbare Respektspersonen angesehen werden. Vor Corinna Paeth geben Pfarrer zu, wie sehr sie unter dem Misstrauen leiden, das Klerikalen inzwischen entgegengebracht wird. „Die Leute schauen mich an, als würden sie sich fragen, ob auch ich zu denen gehöre, die Kinder missbrauchten“, äußern Priester in den Gesprächen.

      Tief schlummert die Antwort

      Die lebhafte Debatte, die im Gang ist, seit die ersten Missbrauchsfälle öffentlich wurden, macht etwas mit jenen, die in der Kirche arbeiten. Sie können das Engagement lähmen und die Sinnfrage aufwerfen. Manch einen Gast, der Corinna Paeth gegenübersitzt, quält, dass er sich aus diesem Grund bei weitem nicht mehr in dem Maße, wie das früher der Fall war, mit seiner Arbeit identifizieren kann. „Ist Priestersein überhaupt noch das, was ich machen möchte?“ Solche Fragen wühlen manchmal schon seit Jahren im Inneren. Die Leiterin des Recollectio-Hauses hilft, die Antwort, die, wie sie überzeugt ist, tief im Gast schlummert, in den Gesprächen freizulegen.

      Die Psychotherapeutin selbst empfindet ihre Arbeit als eine Quelle der Freude, auch wenn sie es immer wieder mit gravierenden Problemen zu tun hat. Diese grundsätzliche Freude strahlt die Einrichtungsleiterin auch aus. Ihr eigener beruflicher Weg war im Übrigen ebenfalls eine Suche, weshalb sie die Gäste, die zu ihr kommen, gut verstehen kann.

      Leben heißt, immer wieder neue Erkenntnisse zu gewinnen. Erkenntnisse, die den Lebensweg oft verändern. So stellte die gelernte Verhaltenstherapeutin Corinna Paeth fest, dass das, was sie Menschen mit seelischen Problemen anbietet, oft zu kurz greift. Sie begann, spirituelle Aspekte in ihre Arbeit zu integrieren. Außerdem bildete sie sich in Hypnotherapie nach Milton Erickson fort. Heute ist es ihr wichtig, die Gäste in dem von den Diözesen Würzburg, Freiburg, Mainz, Rottenburg-Stuttgart, Limburg, Fulda, München und Freising sowie Paderborn getragenen Recollectio-Haus humanistisch zu behandeln.     

      Pat Christ