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      Ökologische Schädlingsbekämpfung in Kirchen

      Wenn die Wespe dem Holzwurm den Garaus macht

      Der schmale Schein der kleinen Taschenlampe leuchtet den Winkel eines Sitzplatzes im Chorgestühl aus. Judith Auer kniet vor dem ehrwürdigen Sitzmöbel und beugt sich nach vorn, um noch genauer sehen zu können, wer dort im Verborgenen das Inventar beschädigt. Vor ihr liegt eine Liste, sie fährt mit dem Finger über das uralte Holz, vor sich hin murmelnd zählt sie. Dann macht sie ihre Notizen: beim sogenannten Monitoring, der Überprüfung des Holzwurmbefalls am Chorgestühl.

      Dabei zählt sie die Löcher in einem bestimmten Abschnitt der Oberfläche – der beste Weg, den Befall zu dokumentieren, erklärt die Biologin. „Geräte dazu gibt es bisher noch nicht. Das wäre schön – dann könnten wir noch zielgerichteter behandeln, weil wir die Larvenanzahl im Holz kenntlich machen könnten. Das Monitoring, das recht sicher ist, heißt also für uns: Löcher auszählen.“ Dazu sucht sie sich drei bis vier aktiv befallene Stellen aus, definiert den Bereich exakt und zählt an dieser Stelle alle Ausflugslöcher, sowohl die von den Anobien (Holzwurm) mit etwa zwei Millimeter Durchmesser, als auch die von den Schlupfwespen mit rund 0,5 Millimetern.

      Natürlicher Feind

      Mit dieser Detailarbeit, sowie mit viel Geduld und einem geschulten Blick rückt Judith Auer dem Holzwurm ökologisch zu Leibe, anstatt ihn – wie bisher üblich – mit einer chemischen Behandlung zu bekämpfen. Den natürlichen Feind hat sie in einer weißen Umhängetasche dabei: Die Schlupfwespe. Eintausend dieser winzigen Insekten wird sie in der Klosterkirche Mariä Himmelfahrt in Fürstenfeldbruck einmal mehr gezielt platzieren, um den Holzwurmbefall in Schach zu halten. Denn schon lange plagt man sich auch hier – wie in unzähligen anderen Kirchen Bayerns – mit den Larven des Nagekäfers herum, die rund einen Teelöffel Holz in einem Sommer verspeisen und so enorme Schäden anrichten. Daher auch umgangssprachlich ihr Name: Holzwurm. Unzählige Objekte und Inventar Jahrhunderte alter Kirchenkunst wurden so dauerhaft beschädigt.

      Tim Frommke, technischer Bearbeiter des Staatliches Bauamtes München 1 und zuständig für die Liegenschaften des Klosters und der Klosterkirche Fürstenfeldbruck, sieht die Zusammenarbeit mit der Biologin als „sehr hilfreich und konstruktiv“ an. Sein in Ruhestand befindlicher Kollege hatte vor Jahren von der Methode erfahren und sich dafür stark gemacht, dass diese angewandt wird. Frommke führt seine Arbeit seit zwei Jahren fort: „Die technischen Probleme, Fragen des Gesundheitsschutzes und insbesondere die hohen Kosten für eine konventionelle Begasung im Kirchenschiff hatten eine schnelle Maßnahme zur Eindämmung des Anobienbefalls sehr erschwert“, erklärt er. Schlupfwespen als Nützlinge zur Eindämmung des Schädlingsbefalls einzusetzen, habe sich als wahrer Glücksgriff erwiesen. Seit mehreren Jahren laufe nun diese stetig überwachte Maßnahme und „die Ergebnisse sind durchweg positiv.“

      Ohne Chemie

      Jahrelang tüftelten die Biologen der Firma APC in Nürnberg – unter ihnen auch Judith Auer – an einer Möglichkeit, den Schädling ohne Einsatz von chemischen Mitteln zu bekämpfen. Was lag da näher, als auf den natürlichen Feind zurückzugreifen? Auer erinnert sich: „Wir haben uns befallenes Holz gesucht, mit einem Ausgang zum Licht in Röhren gepackt und haben alles, was zum Licht gekrabbelt ist, aufgefangen und ausgewertet.“ Es kamen viele Holzwürmer – und noch mehr Schlupfwespen, die Antagonisten vom Holzwurm, heraus. Lange Zeit hielt sich APC mit der Publikation von Ergebnissen zurück. Denn es musste zunächst eine verlässliche Methode gefunden werden, die Tiere zu züchten.

      Das Problem: während die Schlupfwespe eine kurze Entwicklungszeit von wenigen Wochen hat, dauert diese beim Holzwurm zwei bis fünf Jahre. So lange frisst die Larve, bis sie sich verpuppt und als Käfer ausschlüpft. „Wir haben darum Fremdwirte mit einer Entwicklungszeit von nur einem Monat genommen“, schildert Auer die Vorgehensweise. „Es hat zwar etwas gedauert, bis sich die Schlupfwespen an andere Käferlarven gewöhnt und darauf auch Eier gelegt haben. Aber nach etwa einem Jahr hatten wir sie soweit.“ Und so konnten Judith Auer und ihre Kollegen 2012 schließlich beginnen, mit dieser ökologischen Schädlingsbekämpfung Inventar in Kirchen zu behandeln. Aktuell – so schätzt die Wissenschaftlerin – werden von bundesweit sechs Niederlassungen rund 250 Kirchen gegen den Holzwurmbefall behandelt.

      Spinnweben müssen weg

      Mit eintausend Tieren ist Auer an diesem Vormittag in die Klosterkirche gekommen; im Chorgestühl, an einem Seitenaltar und in der Sakristei wird sie die Tiere später ihre Arbeit verrichten lassen. Doch zunächst kommt ein kleiner Staubwedel zum Einsatz, eines der wichtigsten Utensilien in ihrer Umhängetasche: „Spinnen freuen sich natürlich über einen Leckerbissen im Netz. Darum putzen wir die in den Ecken immer zuallererst weg.“

      Judith Auer kniet sich hin, holt eines der durchsichtigen Kunststoffröhrchen heraus und tritt damit nah an die Stelle des Schädlingsbefalls heran. Sie öffnet eine Seite des Röhrchens, klopft gegen den Kunststoff und pustet behutsam am anderen Ende durch eine winzige Öffnung hinein. Schon kommen die Insekten heraus, setzen sich aufs Holz und verharren. „Sie müssen sich zuerst orientieren. Dann putzen sie sich, bevor sie zielstrebig die Larven des Nagekäfers im Holz ausfindig machen. Dort setzen sie ihren langen Stachel an und bohren damit durch das Holz. Sobald sie ihr Ei abgelegt haben, hört der Holzwurm auf zu fressen.“

      Wenn sich das Ei über die Larve zur ausgewachsenen Schlupfwespe entwickelt hat, bohren sie beim Schlupf ein winziges Loch durch die Holzoberfläche – weitere Schäden? Judith Auer schmunzelt: „Das ist im Vergleich zu den Löchern des Holzwurmes minimal; abgesehen davon ist das deutlich größere Loch des Holzwurms und das Bohrmehl, das zu sehen ist, lediglich die Spitze des Eisberges. Der Schaden ist im Innern des Holzes verborgen. Somit ist das winzige Ausflugloch der Schlupfwespe durchaus vertretbar.“

      Schonende und langfristig

      Aktuell werden im Labor in Nürnberg täglich etwa 6000 Tiere gezüchtet; zehn Prozent Überschuss seien miteingerechnet, erklärt Auer, um auf Neuaufträge zügig reagieren zu können. Dort, unter guten Bedingungen, hoher Luftfeuchtigkeit und Ernährung, leben die Schlupfwespen ungefähr drei Monate, in den Kirchen rund einen Monat.

      Die Bekämpfung in den Kirchen ist schonend und langfristig angelegt: Zu 12 bis 16 Behandlungen in drei bis vier Jahren wird geraten, wenn ein akuter Befall dokumentiert ist. „Wir können beginnen, wenn es in der Kirche über 15 Grad hat, also Anfang Mai, und müssen Ende September aufhören. Und das gibt uns den Spielraum alle vier bis sechs Wochen eine Behandlung durchzuführen.“

      Den Holzwurm zu erkennen ist nicht schwer: Bohrmehlhäufchen verraten ihn unweigerlich. Wobei diese nicht – wie man annehmen könnte – alleinig vom Holzwurm verursacht wurden. Vielmehr drücken weitere natürliche Feinde des Holzwurmes, räuberische Käferlarven, auf der Suche nach der Holzwurmlarve dessen Kot – das Bohrmehl – aus den Fraßgängen. Dessen Menge sagt daher wenig über die aktuelle Stärke des Befalls aus, da das sichtbare Bohrmehl unterschiedlich alt sein kann. „In manchen Kirchen sehen wir fast kein Bohrmehl. Aber durch unser Monitoring erkennen wir wahnsinnig viel Käferschlupf. In anderen Kirchen sind alle im Aufruhr, weil so viel Bohrmehl da ist. Doch im Monitoring stellen wir dann einen nur geringen Käferschlupf fest.“

      Befall erkennen

      Die höchste Aussagekraft hätten die Käfer, erklärt die Biologin: „Wenn man von denen zwischen Juni und August viele findet, und das häufig recht zeitnah begrenzt innerhalb von zwei Wochen, sollte man aktiv werden.“ Der Befall zeige sich „als kleine schwarze längliche Tierchen erkennbar, nur zwei bis drei Millimeter lang.“

      Weniger ausrichten kann die Schlupfwespe, wenn davor bereits eine Insektizid-Behandlung stattgefunden hat. „Auf Dachböden ist das oft so – dort findet man Altbelastungen durch PCP oder Lindan. Deswegen empfehlen wir dort generell keine Schlupfwespen einzusetzen. Dort kommt kein Publikumsverkehr, keine Kinder sind in der Nähe, dort machen wir ­eine klassische Insektizid-Sprühbehandlung, denn dann ist dort mindestens zehn Jahre Ruhe.“ Was Judith Auer jedoch zu bedenken gibt: Auch bei den Insektizid-Behandlungen kann der Holzwurm wiederkommen, teilweise können die Tiere sogar dagegen resistent werden. „Auch bei den Schlupfwespen haben wir keinen hundertprozentigen Rückgang. Da sind es 70 Prozent aufgrund unserer Daten, darum empfehlen wir nach den 12 oder 16 Behandlungen nicht komplett aufzuhören, sondern mit mindestens einer Behandlung pro Jahr auf Dauer weiterzumachen.“

      Hohe Erfolgsquote

      Die Alternativen sind eigentlich keine mehr – denn eine herkömmliche Begasung ist ökologisch bedenklich, Insektizid-Behandlungen sind in Innenräumen teilweise nicht mehr erlaubt. Und nach Meinung von Judith Auer ist auch eine Wärmebehandlung recht schwierig durchzuführen. „Man muss das Objekt einhausen, die Luftfeuchtigkeit ordentlich regulieren, damit es da zu keinem Problem kommt. Lackierungen an Altären beispielsweise halten der Wärme nicht stand.“ Lediglich Stickstoffbehandlungen seien eine gute Methode für Inventar wie Figuren, die man auf diesem Weg extern im Container oder im Zelt behandeln kann. Dies in Kombination mit der Schlupfwespe im Gebäude ist eine umweltfreundliche Lösung – mit einer ziemlich hohen Erfolgsquote gegen den Feind des alten Holzes.

      Judith Bornemann