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      Sammlung-Dürrnagel hält die Erinnerung an die Kriegs- und Nachkriegszeit Würzburgs wach

      Untergang und Auferstehung in Bildern

      Am 16. März 1945 reichten den Bombern der britischen Luftwaffe 17 Minuten, um Würzburg in eine Ruinenstadt zu verwandeln. Bis auf einige Fassaden blieb vom alten Würzburg kaum etwas übrig. Wenig später, am 8. Mai, war der Krieg vorbei. Doch schon in den Wochen und Monaten danach regte sich wieder Leben in den Ruinen. Die Menschen begannen mit dem Wiederaufbau, bevor Pläne, die Trümmer sich selber zu überlassen und die Stadt an anderer Stelle wieder aufzubauen, Gestalt annehmen konnten. „Die Menschen waren schneller als die Verwaltung und nahmen ihr Schicksal selber in die Hand“, beschreibt Willi Dürrnagel seinen Eindruck. Gewonnen hat ihn der langjährige Stadtrat aus den vielen Dokumenten und Fotos seiner Sammlung, die einen ungefilterten Blick in die Ruinen gewähren.

      So schwer es Jüngeren fällt, die Schwarz-weiß-Bilder der zerstörten Stadt mit dem blühenden Würzburg von heute überein zu bringen, so geht es auch dem 72-jährigen früheren Postbeamten, der sein gesamtes Leben hier verbracht hat. Aus seiner Sammlung weiß er, wie die Stadt einst war, was daraus geworden ist und welche unwiederbringlichen Schätze Würzburg auf dem Weg zu einer modernen Stadt verloren hat.

      Ohne Not abgerissen

      Die Kaiserstraße, die von hohen stattlichen Bauten aus dem 19. Jahrhundert gesäumt war, das alte Theater oder der im historistischen Stil errichtete Kopfbahnhof im Zentrum. Einige Gebäude wie das weitgehend unversehrte Buchnersche Palais am Eingang in die Stadt seien ganz ohne Not abgerissen worden, bedauert er. Heute befindet sich hier, am Eingang in die Stadt ein moderner Zweckbau. Auch deshalb bilden Ansichts- und Postkarten einen Schwerpunkt seiner Sammlung.

      Etwa 15000 hat er davon. Neue kommen nur noch selten dazu: „Es gibt kaum noch welche, die ich nicht habe“, erklärt Dürrnagel. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht das Klappern des Briefkastens eine neue Sendung ankündigt. Gemeinsam mit dem Maler und Denkmalpfleger Heiner Reitberger hat er um 1970 den Initiativkreis zur Erhaltung historischer Denkmäler in Würzburg gegründet, einer Zeit, als viele Kommunalpolitiker noch von der „autogerechten Stadt“ träumten und historische Bausubstanz nur als Last wahrgenommen wurde. Seit langem ist Dürrnagel zudem Vorsitzender des Verschönerungsvereins.

      Ein Unbequemer

      Ihm und seinen Mitstreitern gelingt es immer wieder, Diskussionen loszutreten und Pläne einer allzu forschen Modernisierung zu durchkreuzen. Nicht selten stößt er damit auch in der eigenen Partei auf wenig Verständnis. Er habe nie Bürgermeister werden wollen, betont Dürrnagel. Er besteht jedoch darauf, seine „Meinung sagen zu dürfen“. Dafür schätzen ihn viele Würzburger. Auch bei der Wahl zum Stadtrat hat er kürzlich wieder ein gutes Ergebnis erzielt.

      An die Ruinenstadt selber hat Dürrnagel keine Erinnerung mehr. Die Stadt sei weitgehend schon wieder aufgebaut gewesen, als er begann, sich für sie zu interessieren. Erst nach einigem Überlegen kommt er darauf, dass es noch lange Baulücken gab und dass er selber genau miterlebt hat, wie eine der letzten großen Wunden, die der Krieg gerissen hat, geschlossen wurde: der Große Sitzungssaal des Rathauses mit dem monumentalen Gemälde von Wolfgang Lenz, der erst in den 1980er Jahren beendet wurde.

      Mondlandschaft

      Dafür hat er seine Sammlung, in der sich auch eine Vielzahl an eindrucksvollen Fotos zum Kriegsende befindet. Selbst dem Kenner fällt es manchmal schwer, sich in der Ruinenlandschaft zu orientieren. Ganze Straßenzüge sind nicht wiederzuerkennen. So schwer sind die Zerstörungen. Manche Gebiete gleichen einer Mondlandschaft. „Wurfzettel“ zeigen, wie die Verwaltung notdürftig Regeln aufzustellen und ein Chaos zu vermeiden sucht: „Jeder Zuzug ist verboten“, heißt es dort. Nur heimkehrende Soldaten, deren Eltern hier wohnen, oder „Berufstätige, die am Wiederaufbau mithelfen“, dürfen bleiben. Bis zu sieben oder acht Personen leben in einem Raum, meist in Kellern. Noch standen die Löschwasserbecken, die an bedeutenden Stätten zur Brandbekämpfung verteilt waren, dem bis zu 2000 Grad heißen Feuersturm jedoch kaum etwas entgegenzusetzen hatten. In der Feuernacht retteten sie dennoch ungezählten Menschen das Leben. Doch auch die Geister von früher erheben in den noch rauchenden Trümmern nochmals ihr Haupt. Rache für die Zerstörungen kündigt eine Aufschrift am Grafeneckart an. Die überwiegende Mehrheit wollte nach vorne schauen. Auffallend ist auf den Fotos denn auch, wie vornehm sich die Menschen in ihrer Ruinenstadt fortbewegen. Im Anzug, mit Hut und Spazierstock. Dass nur Monate oder Jahre davor viele an der Front standen, aus ihrer Heimat flüchteten oder die Bombennacht des 16. März miterlebten, ist ihnen nicht anzusehen. Auch Kinder sind auf den Fotos zu sehen. Mit einigen von ihnen, die nach Amerika ausgewandert sind, ist er verbunden. Sie schicken ihre Erinnerungen, geben Hinweise oder haben Fragen. Hier hilft das Internet und die Sozialen Medien.

      Ausgebrannt

      Ein frühes Bild des ausgebrannten Falkenhauses zeigt, wie in einem der Rundbögen schon wieder eine erste, notdürftig hergerichtete Filiale der Volksbank eröffnet. Noch während mit Hilfe einer Lorenbahn Schutt beiseite geräumt wird, entstehen am Rand der Schuttberge kleine Buden oder erste einstöckige Häuschen, in denen Kaufleute ihre Waren anbieten.

      Geholfen hat, dass das unterirdische Kanalnetz noch intakt war. Die Stadt konnte daher entlang der früheren Straßenzüge von neuem entstehen. Diese wurden lediglich etwas aufgeweitet, um den Verkehr besser aufnehmen zu können. Bis heute ist die Stadt von eher schlichten, rasch errichteten Gebäuden aus den 1950er Jahren geprägt, die die Zwischenräume zwischen den aufwendig restaurierten architektonischen Perlen, für die Würzburg bekannt ist, füllen.

      Vorgeschichte

      In der Sammlung Dürrnagel befinden sich jedoch auch Fotos, die zeigen, dass es auch in Würzburg eine Vorgeschichte der Zerstörung gibt: Weitgehend vergessen ist heute, dass sich in der Theaterstraße, damals Adolf-Hitler-Straße, die Mainfränkische Gauhalle befunden hat, wie der Kaufmann Neckermann sich den Nationalsozialisten andiente, um das jüdische Kaufhaus Ruschkewitz für einen symbolischen Preis zu übernehmen oder wie der Gauleiter Otto Hellmuth die Würzburger aufforderte, die Stadt „bis zum letzten Blutstropfen“ zu verteidigen.

      Bei den erbitterten Kämpfen wurde auch die Alte Mainbrücke, die bis dahin heil geblieben war, gesprengt. Auch in der Stadt gab es noch Kämpfe, wie zerschossene Panzer am Sanderring zeigen. 75 Jahre nach Kriegsende halten ganz in der Nähe wieder Straßenbahnen; Menschen mit Einkaufstüten, Schüler und Studenten verlassen sie. Das Coronavirus hat das hier ansonsten pulsierende Großstadtleben nun auffallend beruhigt. Gäbe es nicht die Fotos, die beweisen, dass hier noch im April 1945 um die von den Nazis zur „Festung“ ausgerufenen Trümmerstadt gekämpft und gestorben wurde, wäre dieser Teil der Stadtgeschichte wohl schon lange vergessen.    

      Christian Ammon