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      Ein Interview mit dem Verfassungsrechtler Horst Dreier zum Verhältnis von Staat und Religion

      Staat ohne Gott?

      In Deutschland sind Staat und Kirche nicht getrennt, sondern verschränkt – beispielsweise zieht das Finanzamt die Kirchensteuer ein, und an den staatlichen Schulen wird der verfassungsmäßig garantierte Religionsunterricht erteilt. Dieses Modell gerät immer wieder unter Beschuss: Beispielsweise hat vor einigen Monaten die bayerische FDP bei ihrem Landesparteitag die „Regensburger Freiheitsthesen“ verabschiedet, die eine Trennung von Kirche und Staat fordern. Zum Verhältnis von Staat und Religion aus juristischer Sicht hat das „Sonntagsblatt“ den renommierten Verfassungsrechtler Professor Horst Dreier befragt. Der Jurist hatte von 1995 bis zu seiner Emeritierung 2020 den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg inne.

      Herr Professor Dreier, braucht der Staat Religion?

      Lange Zeit hat man diese Frage mit einem entschiedenen „Ja“ beantwortet. Aber in unseren modernen Zeiten fällt eine so eindeutige Antwort schwer. Wir sehen ja schon rein religionsempirisch, dass die größte Gruppe in der bundesrepublikanischen Gesellschaft die der Nichtgläubigen ist. Und wollen wir denen bescheinigen, sie trügen nichts zum Erhalt des Staates bei oder gefährdeten dessen Stabilität? Wohl eher nicht. In einigen skandinavischen Ländern wie auch in den noch immer sogenannten „neuen“ Bundesländern ist der Anteil von religiös gebundenen Menschen extrem niedrig. Dennoch ist dort nicht die Anarchie ausgebrochen. In den USA ist der religiöse Anteil deutlich höher: Zur Stabilität des Staates trägt das aber ersichtlich nicht bei.

      Ihr 2018 erschienenes Buch trägt den Titel „Staat ohne Gott“. Kann ein Staat ohne eine transzendente Letztinstanz auskommen, die die Basis der Moral bildet?

      Welche transzendente Letztinstanz sollte das sein? Und kann eine tragfähige Moral nicht auch ohne Transzendenz auskommen? Wir müssen einfach der Tatsache und der verfassungsrechtlichen Garantie normativer Vielfalt, also der umfassend gewährleisteten und zunehmend pluraler genutzten Religions- und Weltanschauungsfreiheit, ins Auge sehen.

      Auf welches ethische Fundament stützt sich Ihr „Staat ohne Gott“?

      „Staat ohne Gott“ ist ein wissenschaftliches Buch, von daher stützt es sich allein auf die Ethik der Wissenschaft. Ich habe dort nicht meine aparten eigenen Positionen vertreten, sondern eine sozialhistorisch sowie ideen- und verfassungsgeschichtlich gestützte Analyse des Verhältnisses von Staat und Religion vorgenommen.

      Und wie lässt sich der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes mit einem säkularen Staat vereinbaren?

      Der Gottesbezug der Präambel einerseits, die säkularen Bestimmungen des Grundgesetzes (wie Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bürger sowie das Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates) dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das geht schon deswegen nicht, weil sie beide im gleichen Grundgesetz stehen und wir die Einheit der Verfassung auch durch Interpretation wahren müssen. Also geht es darum, die beiden Bestimmungen ins rechte Verhältnis zueinander zu setzen. Und da ist entscheidend, dass den präzise gefassten Bestimmungen der Artikel 4 und 140 des Grundgesetzes – um nur diese beiden Artikel zu nennen – nichts von ihrem Geltungsumfang durch die Erwähnung Gottes in der Präambel genommen wird. Diese Erwähnung sollte, so wollten es die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, einen gewissen „hohen Ton“ setzen, aber sie sollte weder die Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bürger beeinträchtigen noch den Staat vom Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität befreien. Die regulatorische Wirkung des Gottesbezuges ist äußerst gering, die symbolische umso höher. Im übrigen ist die Formel „in Verantwortung vor Gott“ keine invocatio dei (Anrufung Gottes, d. Red.), sondern eine nominatio dei (Benennung Gottes, d. Red.). Recht verstanden, handelt es sich bei ihr um eine Demutsformel.

      Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das bekannte Diktum geprägt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Wie stehen Sie zu diesem schon fast zum Schlagwort gewordenen Satz?

      Dieser Satz bietet keine Lösung, sondern er formuliert ein Problem, auf das wir eine Antwort finden müssen. Ich habe die Formel in meinem von Ihnen erwähnten Buch eine „Problemanzeige“ genannt, und diese ist enorm wichtig. Deshalb habe ich ihr das Schlusskapitel des Buches gewidmet.

      Was bedeutet die von Ihnen geforderte religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates konkret?

      Die religiös-weltanschauliche Neutralität ist keine spezielle „Forderung“ von mir, sondern eine im Verfassungsrecht und auch in der Judikatur (Rechtsprechung, d. Red.) des Bundesverfassungsgerichts breit anerkannte und zugrundegelegte Rechtsfigur, der eine Schlüsselrolle für das Religionsverfassungsrecht zukommt. Man kann dieses Neutralitätsgebot auch gut als „Identifikationsverbot“ umschreiben.

      Als solches hat das Neutralitätsgebot drei Gehalte: Einmal garantiert es die Trennung von Staat und Religion im Sinne des Satzes: „Es besteht keine Staatskirche“. Das bezeichne ich als institutionelle Nicht­identifikation. Die sachliche Nichtidentifikation findet ihre Grundlage in den religiösen und weltanschaulichen Freiheitsrechten der Bürger, aus denen z.B. folgt, dass der Staat den Glauben oder Unglauben seiner Bürger nicht bewerten und kein Bürger zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an religiösen Übungen gezwungen werden darf. Und dann drittens schließlich ist die Innehabung bestimmter Rechte oder der Zugang zu einem öffentlichen Amt unabhängig vom religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis; das ist der gleichheits­rechtliche Aspekt. Für alle drei Ausformungen könnte ich einzelne Normen des Grundgesetzes nennen, worauf ich jetzt aber verzichte.

      Staat und Kirchen sind in Deutschland nicht konsequent getrennt, sondern kooperieren – etwa im verfassungsmäßig garantierten Religionsunterricht und in den theologischen Fakultäten der Universitäten. Ähnliches gilt für die Kirchensteuer. Ist das ein überholtes Modell?

      Überholt würde ich nicht sagen, aber man muss dieses Modell natürlich mit Leben füllen. Und ob da der streng konfessionell gestaltete Religionsunterricht alter Art noch eine blühende Zukunft vor sich hat, wage ich zu bezweifeln.

      Reformkreise in der katholischen Kirche fordern unter anderem eine Einbeziehung der Laien in den Ablauf der Bischofswahl. Muss Ihrer Meinung nach auch das Konkordat mit dem Vatikan auf den Prüfstand gestellt werden?

      Das fragen Sie mich als Protestanten! Die katholische Kirche lebt ja nach einem relativ einheitlichen Recht. Wenn es also eine Einbeziehung der Laien geben sollte, dann wohl nicht nur in Deutschland. Das könnte ich mir jedenfalls schlecht vorstellen. Aber die Frage adressieren Sie besser an einen katholischen Theologen oder Kirchenrechtler.

      Die Zahl der Christinnen und Christen in Deutschland schrumpft – gerade in den letzten Jahren. Welche Konsequenzen könnte dies für die rechtliche Stellung der Kirchen haben?

      Ganz grundsätzlich kommt es für die rechtliche Stellung einer Religionsgemeinschaft auf deren Größe nicht an. Wir haben ja mittlerweile Religionsgemeinschaften den Körperschaftsstatus zugesprochen, die um die 1000 Mitglieder haben. Lange Zeit galt die Faustregel, die Mitgliederzahl müsste mindestens ein Promille der Gesamtbevölkerung betragen, also um die 800.000. Diese Regel hat das Bundesverwaltungsgericht aber vor einigen Jahren aufgegeben. Eine andere Frage betrifft die Repräsentanz der christlichen Großkirchen in vielen öffentlichen Institutionen, die nach wie vor mit großer Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird. Ich denke an Ethikräte, Selbstverwaltungsorgane des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und anderes mehr. Hier muss meines Erachtens auf Dauer eine breitere Berücksichtigung auch anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Platz greifen.

      Interview: Stefan W. Römmelt

      Buchtipp

      Horst Dreier: Staat ohne Gott – Religion in der säkularen Moderne, Verlag C.H.Beck., 2., durchgesehene Auflage 2018, 256 Seiten, Euro 26.95; ISBN 978-3-406-71871-7.