Meine Mitbeter sitzen regungslos auf ihren Kniehockern. Ihre Augen sind geschlossen, die Gesichtszüge entspannt, die Hände locker gefaltet. Beinahe unmerklich heben und senken sich ihre Brustkörbe. Was geht wohl in den Köpfen vor? Schleppend vergehen die Sekunden, draußen regt sich eine Elster, meiner Nebenfrau knurrt der Magen. Meine Sinne sind auf Beobachten, mein Körper auf Bewegung getrimmt.
Voller Kopf
Ich schließe die Augen und versuche loszulassen. Nichts zu denken. Einfach zu sein. So hat es mir Ute Schmitt vorher mit auf den Weg gegeben. Wenn das so einfach wäre. Meine Gedanken verselbstständigen sich und gehen den Tag durch: Ich sehe mich wie in einem Film durch den Frühnebel radeln, bei einem Krankenbesuch, beim E-Mail-Schreiben, beim Mittagessenkochen ... Ich erinnere mich an den Ratschlag von Claudia Lindwurm, die mir das Jesusgebet ans Herz gelegt hat: Ausatmen Jesus – einatmen Christus. Ausatmen Jesus – einatmen Christus. Fünf, sechs Atemzüge lang funktioniert das, doch dann geht mein Kopf erneut spazieren. „Ist das so schwer? Wie ergeht es den anderen?“, frage ich mich. Johannes Hell wird mich später bestätigen: „Auch bei mir läuft der Film ab: Arbeit, Familie, Dinge aus der persönlichen Steinzeit tauchen auf. Durch bewusstes Einatmen und ein Wort, das ich immer wieder vor mir hersage, versuche ich das Denken immer wieder auszuschalten.“Gedankenstopp
Es geht also ums Einfach-geschehen-Lassen. Immer wieder setze ich an, überlasse mich meinem Gedankenkarussell und stoppe es bewusst. Dann ertönt der Gong, meine Mitbeter heben die Hände, verneigen sich und stehen auf. Meine Füße kribbeln, der Rücken schmerzt. Langsam schreiten wir zwei Runden durch den Raum, dann geht es für abermals 25 Minuten in die Stille.Diesmal bin ich besser vorbereitet. Plötzlich taucht aus dem Nichts ein Wort auf: „Gott, da bin ich“, höre ich mich denken. – „Schön“, steht die Antwort im Raum. Sofort will ich einen Dialog lostreten: „Und jetzt? Was soll ich tun?“ – „Nichts. Du bist gut, so wie du bist.“ Ich muss an eine kontroverse Diskussion am Vorabend denken. „Und all die anderen? Sind sie auch gut so, wie sie sind?“ – „Ja, sie auch!“ Plötzlich wird mein Herz warm und voll, ich fühle mich aufgehoben, angenommen, ganz ruhig. Das Gerenne des Alltags, die Sorgen, Ängste, Meinungsverschiedenheiten … sie sind weit weg. „Momente wie diese sind unglaublich kostbar“, sagt Ute Schmitt später: „Die Erfahrung, mit Gott in Kontakt zu treten und in seiner liebenden Gegenwart zu verweilen, ist einfach überwältigend.“
Veränderter Mensch
Zum spirituellen Erlebnis kommen körperliche Veränderungen: „Man steht anders auf, als man sich hingesetzt hat“, so Johannes Hell. „Indem ich mich in das Licht und die Liebe Gottes stelle, tritt körperliche Entspannung ein. Wissenschaftliche Studien haben herausgefunden, dass sich bei der Meditation sogar die Chemie des Körpers verändert.“ Claudia Lindwurm meditiert jeden Morgen eine halbe Stunde, und startet so deutlich entspannter in den Alltag. Eine große Kraftquelle ist für sie auch die Kontemplationsgruppe. „Das gemeinsame Schweigen stärkt und trägt uns“, sagt sie. Auch die Nähe zu den Mönchen, die diese uralte Form des Gebets selbst praktizieren, tue gut. Ute Schmitt nutzt mittlerweile sogar Wartezeiten beim Arzt oder an der Kasse für eine kurze Meditation: „Ich bin gelassener und schaue anders auf meine Mitmenschen.“ Zudem sei das friedfertige Schweigen ein Gegenpol zu Hass, Gewalt und Krieg. „Das ist eine starke Energie, die man gegenhalten kann!“ Die zweiten 25 Minuten gehen zu Ende. Ich sehne mich nach dem warmen Gefühl von vorhin. „Gott, da bin ich“, denke ich wieder. Dann erfüllen mich ein Lächeln und eine tiefe innere Ruhe: Er ist da. Anja LeggeWer es probieren will ...
Die Münsterschwarzacher Kontemplationsgruppe trifft sich jeden Donnerstag von 18.45 Uhr bis 19.45 Uhr im Oratorium des Gästehauses St. Benedikt (Zugang über Klosterpforte). Bei erstmaliger Teilnahme wird um eine kurze Mitteilung gebeten. Kontakt: Pater Noach Heckel, Telefon: 09324/20235, E-Mail „p.noach@abtei-muensterschwarzach.de“