Roland ist ein muskelbepackter Kerl mit Tätowierungen. Nachts möchte man ihm nicht gern allein auf der Straße begegnen. Doch sein Blick ist hell und klar, der Finger, den er auf den Betrachter richtet, ist wie ein Weckruf. „Wer traut mir?“, steht in dünner Bleistiftschrift neben dem Portrait.
Der 1962 im rumänischen Temeswar geborene Fürther Bruno Maria Bradt, der für Roland und Co. verantwortlich ist, ist ein Meister der Zeichenkunst. Wie Landschaften wirken die Gesichter seiner Protagonisten, jede Falte ein Abbild dessen, was diese Menschen erlebt haben. Es sind Antlitze, die uns jederzeit auf der Straße begegnen könnten, von denen wir dort den Blick jedoch oft abwenden. Aus peinlicher Befangenheit, Unsicherheit oder schlichtweg aus Angst?
Heiligenscheine
Bradt holt diese Ausgegrenzten ans Licht und setzt sie in Beziehung zu seinem Bildnis des Gekreuzigten, das im Zentrum der beiden Bildwände in der Augustinerkirche steht. Erst beim zweiten Hinsehen bemerkt der Betrachter, dass die Portraitierten Heiligenscheine tragen: Sie könnten zwölf moderne Apostel sein. In den Fragen, die jeder von ihnen stellt, spiegeln sich die unsichtbaren Nöte unserer Zeit.
„Wer wärmt mich? Ich bin Aleksandri.“ Der halbnackte, Mann scheint sich vor Scham zu winden, er hat die Augen geschlossen und man fragt sich, wie er wohl aussähe, wäre er wohlig warm bekleidet. Maries Augen dagegen wirken jung wie die eines Kindes. „Wer begleitet mich?“, fragt die alte Frau. An ihrem Blick lässt sich ihre Verzweiflung über die Einsamkeit im Alter ablesen.
Auch sich selbst hat Bradt in den Zyklus hineingemalt, als dreizehnte Gestalt, ohne Heiligenschein und im Kapuzenpulli. „Hier bin ich. Wer bist du?“, fragt er nachdenklich. Manche der Portraits sind in ihrer Intensität nur schwer auszuhalten. Doch wer es tut, könnte der Antwort auf diese Frage näherkommen. Zwei weitere Werken Bradts ergänzen die Bildnisse. „David“ stellt einen Künstlerkollegen dar, der sich nicht ins Sowjetsystem einfügen wollte und deshalb in der Psychiatrie landete. Das Selbstportrait „Leidensmachtkampf“ bebildert die Notwendigkeit, das eigene Kreuz zu tragen und sich Gottes Gnade hinzugeben.
Blickkontakte
Wer sich auf diese Ausstellung einlässt, wird möglicherweise mit anderen Augen auf die Menschen schauen, die ihm begegnen, nachdem er die Kirche wieder verlassen hat. Vielleicht kommt es zu (Blick)-Kontakten, für die vorher der Mut fehlte? Auch der Blick daheim in den Spiegel könnte sich verändern, im Bewusstsein, dass wir alle – jeder einzelne Mensch – von Gott gewollt und geliebt sind. Nichts anderes verkünden Bruno Maria Bradts Bilder.
Karen A. Braun
Information
Die Ausstellung „Menschen ins Gesicht geschaut“ ist bis 24. November in der Augustinerkirche am Würzburger Dominikanerplatz zu sehen. Der Eintritt ist frei. Am 27. Oktober und am 3. November führt Bruno Maria Bradt um 11.15 Uhr durch die Ausstellung.