Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Krokusse

Ihr katholisches Magazin – ab Ostern 2024

Lernen Sie das Sonntagsblatt kennen – kostenlos und unverbindlich

    Lernen Sie das Sonntagsblatt kennen – kostenlos und unverbindlich

      Mehr

      Russland: Die Rückkehr der Ikonen

      Ikonen begleiteten im alten Russland die Gläubigen von der Taufe bis zum Begräbnis. In jedem christlichen Haus gab es eine Ikonenecke. In der Sowjetzeit sammelten Komsomolzen die Ikonen der Kirchen und Wohnungen ein, zerhackten oder verbrannten sie. Die wertvollsten verschwanden in Museen oder wurden ins Ausland verkauft. Die Leninecke ersetzte nun die Ikonenecke.
       
      Eine Ikone ist für einen orthodoxen Christen mehr als ein Heiligenbild, sie ist für ihn ein „Fenster“ zum Heiligen. Daher soll der Ikonenmaler auch nicht alleine seiner Phantasie folgen, sondern sich an überlieferte Vorlagen halten. So wird zum Beispiel das Antlitz Jesu Christi immer in festliegender Weise dargestellt, zurückgehend auf einen – nach der Legende – Abdruck seines Gesichtes auf einem Tuch für den König Abgar V. von Edessa. Die Ikonenmalerei kam aus Byzanz. Der wohl bekannteste russische Ikonenmaler war Andrej Rubliow (15. Jahrhundert). Bekannt ist auch die Stroganowschule (17. Jahrhundert) und die Zarenschule unter Simon Uschakow (19. Jahrhundert). Neben den großen Ikonenmalerschulen gab es in vier Dörfern östlich von Moskau Ikonenmalerdörfer, das berühmteste unter ihnen war Palech. Es entwickelte sich dort ein eigener Stil, der auch westliche Einflüsse aufnahm. Dort malte man nicht nur für den gehobenen Bedarf, sondern auch für das einfache Bauernvolk. Billige Ikonen – auch Papierikonen – überschwemmten den Mark, gefährdeten die traditionelle Ikonenmalerei. Nach der kommunistischen Revolution gab es, nach Behauptung der Kommunisten, keinen Bedarf mehr an Ikonen. Die Ikonenmaler der Dörfer wurden brotlos und übernahmen in den zwanziger Jahren aus dem Dorf Fedoskino südlich von Moskau die Lackmalerei: bäuerliche Szenen, Märchen, politische Miniaturplakate auf kleinen und großen Schachteln, jedoch immer in der alten Ikonenmalweise. Seit 1924 gab es dort eine „Palecher Genossenschaft für Malerei“. Die einstige Kathedrale wurde in ein Museum für Palech-Kunstwerke verwandelt. Man produzierte Schachteln mit weltlichen oder politischen Motiven: bäuerliche Arbeit, natürlich auch Lenin, Szenen aus dem Bürgerkrieg, Puschkinmärchen, Märchenszenen, alles in der alten Ikonenmalweise. Man verkaufte gut ins Ausland, die Partei war zufrieden.
       
      Als mit der Entstalinisierung der Glaube an den Marxismus-Leninismus zu schwinden begann, interessierten sich Intellektuelle für die russische Vergangenheit, für Christentum und die Ikonen. Der Schriftsteller Wladimir Solouchin schildert in seinem Buch „Schwarze Bretter“ wie er bei einem Freund das Öffnens eines „Fensters“ einer Ikone miterlebt. Schicht für Schicht wird in einer Ikonenecke abgelöst, bis man auf die älteste Schicht stößt. Er ist fasziniert davon und beginnt, in Dörfern Ikonen zu sammeln. Der Staat gestattete, um eine Kontrolle zu behalten, dem Moskauer Patriarchat mehrere Ikonenmalerwerkstätten in Klöstern. Der Ikonenmalerveteran Nikolai Sinowiew aus Palech veröffentlichte für jene, die in Palech eine Ausbildung als Lackmaler erhielten, sein Buch „Die Kunst Palechs“ (1968) und legte ihnen ans Herz, bei der alten Ikonenmalerei zu lernen. Danach tauchten im Handel Lackschachteln auf, die religiöse Motive verwendeten, sie jedoch durch irreführende Beschriftung als Märchenszenen anboten. Als Ende der achtziger Jahre die Religionsverfolgung eingestellt wurde, stellte sich heraus, dass in der Zeit, da man die Ikonen vernichtet, ins Ausland verkauft oder in Museumsarchiven unschädlich gemacht hatte, im Geheimen Künstler weiter Ikonen gemalt hatten. Einer davon war der Mönch Sinon. Im Frühjahr 1989 konnte man in Moskau die Ausstellung „Die Ikone in der Gegenwart“ sehen. Im Jahr zuvor konnte man noch in „Die Orthodoxie. Wörterbuch des Atheismus“ lesen: „Die Ikone ist wie schon früher eine mächtige Waffe der Kirche und der ideologischen wie psychologischen Einwirkung auf die Gläubigen“. In den Jahren des „religiösen Booms“ von 1989 bis 1992 kehrten viele Ikonen in die Häuser und auf die Straßen zurück. Selbst die obskure Gruppe „Christen für den Kommunismus“ zeigte auf roten Fahnen das „wahre Christusbild“ der Ikonen.
       
      Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre nahm sich sogar die „Prawda“ des Themas der Ikonenmalerei in Palech an. Dort hatten sich drei Künstlerorganisationen gebildet, die unter anderem Hilfe aus dem Ausland erwarteten. Der Altmeister der Ikonenmalerei in Palech Viktor Golow träumte von einer Wiedergeburt der Ikonenmalerei. Es kamen Aufträge aus dem In- und Ausland. Auf dem Markt in Moskau wurden bereits kistenweise Nachahmungen angeboten. Eine Nebenerscheinung waren die zunehmenden Ikonen-Diebstähle.
      Mehrere Briefmarkenserien mit Ikonenmotiven erschienen. Im Jahre 1992 kam eine Serie von Ikonen zum Neuen Testament heraus. Gemalt wurde sie von der Künstlerwerkstatt „Paleschane“ von Kukulijew in Palech.
      Am 7. Juni 1995 verlieh Präsident Jelzin die Staatsprämie für darstellende Kunst dem Mönch Archimandrit Sinon, der in den Verfolgungsjahren weiter Ikonen gemalt hatte. Am 25. Juli 1995 startete der russische Raumtransporter Progress M-28 zur Weltraumstation MIR. An Bord waren zwei Ikonen, die sowohl der russische Patriarch wie der Papst geweiht hatten. Bis dahin war es üblich, dass Leninmedaillen, Sowjetwimpel und so weiter ins All befördert wurden. Der Kosmonaut Gagarin hatte seinerzeit erklärt, man habe keinen Gott im Weltraum gefunden.
      Im Jahre 2001 konnte man in Moskau zur Osterzeit eine Ausstellung von Meistern aus Palech sehen – etwa 100 alte und derzeitige Ikone, Lackminiaturen zu biblischen Szenen. Zu dieser Zeit waren die beiden Bücher „Die Ikonenmalerei Palechs“ und „Das Evangelium in den Farben von Palech“ der jüngsten Jahre bereits vergriffen. Inzwischen sind religiöse Motive in Lackmalerei weit verbreitet. Da gibt es zum Beispiel eine „Matrioschka“-Serie (Puppe in der Puppe), die Christus, Maria und Heilige ineinander geschachtelt hat. Noch bevor Zar Nikolaus II. vom Moskauer Patriarchat heilig gesprochen worden war, konnte man in Moskau Papierikonen mit seinem Bild kaufen. Doch darf man von der Rückkehr der Ikonen nicht einfach auf eine religiöse Renaissance schließen.
       
      Für viele Russen ist das Bekenntnis zur orthodoxen Kirche so etwas wie ein Bekenntnis zur Tradition, viele kennen weder das Glaubensbekenntnis noch das „Vater unser“. Meinungsforscher haben festgestellt, dass in Moskau nur zwei bis sieben Prozent derjenigen, die sich als Orthodoxe bezeichnen, ihren Glauben etwa durch den Besuch von Gottesdiensten bekennen. Eine Palech-Schachtel, die ich 1994 in Moskau gekauft habe, zeigte eindeutig, wie Abraham seinen Sohn Isaak opfert. Verkauft wurde die Schachtel als „Opfer des Moses“. Heute kann man vor allem die Palech-Schachteln mit den verschiedensten Motiven kaufen, die unter anderem für die neureichen Russen gemalt worden sind: Mercedes, Vergnügen am Strand, Leda und der Schwan. Aber auch religiöse Motive haben wieder ihren Platz gefunden, so zum Beispiel die Muttergottes von Kasan. Inzwischen gibt es auch Berichte darüber, dass aus einigen Ikonen heiliges Öl fließt. Der heilige Synod hat bereits 1994 drei solcher Fälle als wundertätig anerkannt.