Weil die Prozession heuer wegen Kontaktbeschränkungen ausfallen musste, wollte Sven Johannsen, leitender Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft „12 Apostel am Tor zum Spessart”, den Gläubigen wenigstens als Einzelpersonen die Möglichkeit der stillen Betrachtung einräumen beziehungsweise in einer wiederkehrenden Meditation Impulse geben. Dazu holte er den Kreuzschlepper, den Gekreuzigten, die Pieta und den als Sinnbild für die Auferstehung zu sehenden Jona, der vom Wal drei Tage später wieder ausgespien wird, in den Mittelgang der Pfarrkirche. Für das mit Korpus rund fünf Zentner schwere Kreuz fertigten heimische Handwerker eine neue Halterung, um es in der gleichen Position wie beim Zug durch die Straßen zu präsentieren. Sie brachten den gemarterten Jesus, im wahrsten Sinn des Wortes, auf Augenhöhe mit den Menschen. „So war es möglich, dem Kreuz als neuralgischen Punkt der Prozession einen exponierten Platz – auch in der Kapuzinerkirche – zu geben“, erklärt Johannsen.
Ein geordneter Leidensweg
In der früher vor allem für Werktagsgottesdienste genutzten Klosterkirche hatte das Kruzifix zuletzt während des Jahres einfach nur an der Wand gehangen. Und die meisten anderen Prozessionsfiguren waren hinter Eisengittern weggesperrt. Nun beherrscht die lebensgroße Darstellung des Gekreuzigten den Altarraum – am Ende eines mit Gefangennahme, Verspottung, Geißelung, Kleiderberaubung und weiteren Szenen gesäumten Leidensweg durch den Kirchenchor. Pieta und heiliges Grab flankieren den, der für die Sünden anderer starb. Johannsen verdeutlicht: „Das Kreuz ist der Wendepunkt hin zu Stille, Nähe und Trauer. Die Stationen vorher sind von Gewalt, Bewegung und Dramatik geprägt.“
Noch nicht die endgültige Position haben die österlichen Symbole (letztes Abendmahl und Jona im Maul des Wals), zumal hierfür aktuell die passenden Podeste fehlen. Aber der Pfarrer ist voll des Lobes für das von Ehrenamtlichen insbesondere aus dem Förderkreis für den Erhalt der Lohrer Karfreitagsprozession Geleistete. Förderkreis-Vorsitzender Joachim Salzmann bedauert, dass bisher keine offizielle Eröffnung mit Andacht und Empfang für alle Helfer hat stattfinden können. Nichtsdestoweniger ist die Ausstellung täglich von morgens bis abends bei freiem Eintritt zugänglich.
Viel Geld hineingesteckt
Den Gegenwert einer schönen Eigentumswohnung habe der Förderkreis seit seiner Gründung vor 18 Jahren aufgebracht. Angefangen habe alles damit, dass die Pieta, für die seine Frau Ingrid die „Patenschaft” übernommen habe, restauriert werden sollte. Künftig sollen noch zwei Fragmente und der Gegeißelte, ehedem in der Obhut der Bader, fachmännisch hergerichtet werden.
Der Förderkreis sprang in die Bresche, wo in modernen Zeiten althergebrachte Strukturen bröckeln. Soll heißen: Die in der Spessartstadt tätigen Berufsgruppen hatten üblicherweise die Prozession organisiert und sich um „ihre“ jeweilige Figur gekümmert – beginnend mit dem letzten Abendmahl durch die Gastwirte, Büttner und Bierbrauer und so weiter. Beispielsweise gibt es die für die Gefangennahme Jesu ursprünglich mitverantwortlichen Seiler und Wagner längst nicht mehr. Andere Innungen sind inzwischen auf riesige Gebiete ausgeweitet und somit ortsfremd, nennen sich statt Schneider (zuständig für die Kleiderberaubung) nun Maßbekleidungshandwerk. Weil die Obermeister die Figuren bei sich zu Hause verwahrten, diese Schätze nie an einem zentralen Ort versammelt waren, überdauerten sie Kriege, Plünderungen und Kulturkampf. Jetzt ist es umgekehrt: Für die Zukunft der Prozession braucht’s die öffentliche Auseinandersetzung mit der Tradition und der Botschaft des Karfreitags.
Bernhard Schneider
Der Förderkreis zum Erhalt der Lohrer Karfreitagsprozession zählt rund 150 Mitglieder (Jahresbeitrag 12 Euro, Spenden sind jederzeit willkommen). Telefon 0 93 52/8 92 00; E-Mail „joachim@salzmann-lohr.de”.