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      Wie das kirchliche Leben im Bistum gestaltet werden soll – Interview mit Domkapitular Albin Krämer

      Mittendrin statt abgeschottet

      Weiterhin treten viele Menschen aus der Kirche aus. Die aktuelle Kirchenstatistik (siehe Seiten 9-11 in der Printausgabe) zeigt, dass sich auch im Bistum Würzburg der Abwärtstrend fortsetzt. Domkapitular Albin Krämer (64), Leiter der Hauptabteilung Seelsorge, erklärt im Interview, wie die Menschen wieder besser erreicht werden sollen, welche Rolle die Pastoralen Räume und die Sozialraumorientierung künftig im Bistum spielen sollen und was Kirche für ihn persönlich bedeutet.

      Herr Domkapitular Krämer, Sie sind seit dem 1. Februar Leiter der Hauptabteilung Seelsorge. Was sind Ihre Aufgaben in dieser Funktion?

      Die Hauptabteilung Seelsorge deckt viele Felder innerhalb des Bistums ab. Da ist zum einen der Bereich mit der Diakonischen Pastoral – dazu gehört zum Beispiel die Krankenhausseelsorge –, der Jugendpastoral und der Erwachsenenpastoral. Ein weiterer Bereich bezieht sich auf die Gemeindeentwicklung. Das Projekt „Gemeinsam Kirche sein – Pastoral der Zukunft“ ist da stark mit angedockt. Und dann gibt es noch den großen Bereich „Glauben und Leben“, der die Weltkirche, das Umweltreferat, den interreligiösen Dialog, die Kirchenmusik und noch einiges mehr abdeckt. Meine Aufgabe ist es, die verschiedenen Abteilungen zu steuern, miteinander zu vernetzen und zu schauen, wie wir die Pastoral gut auf die Zukunft hin weiterentwickeln können – gerade mit den Herausforderungen, die wir haben: Dass wir weniger werden, aber gleichzeitig ein Hoffen und ein Suchen der Menschen da ist. Das müssen wir mit den Ressourcen, die wir haben, sowohl von der Pastoral her als auch von den Finanzen, gestalten.

      Die aktuelle Kirchenstatistik zeigt, dass weiterhin viele Leute aus der Kirche austreten. Was kann Kirche tun, um die Menschen wieder besser zu erreichen?

      Zunächst, denke ich, gibt es viele Gründe für den Kirchenaustritt. Das hat mit Enttäuschung zu tun, viel auch mit Verletzungen. Dazu kommt, dass man merkt, die Institution Kirche bietet einem keine Heimat mehr und gibt keine Antworten mehr auf die Fragen, die einen bewegen. Ich denke – auch aus der Erfahrung, sowohl von meiner Arbeit in der Pastoral als auch jetzt hier in der Leitung der Hauptabteilung Seelsorge – dass Menschen durchaus sehr stark Orte suchen, wo sie angenommen und ernst genommen werden. Ein Beispiel: Als die Coronapandemie uns im letzten Jahr erwischt hat, ist es einer Reihe von Gemeinden gelungen, andere Formate zu entwickeln und die Menschen so zu erreichen. Sei es durch Livestream-Gottesdienste, durch Briefe, Telefonkontakte oder durch geistliche Impulse per Mail. Da gab und gibt es sehr viele positive Rückmeldungen. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Menschen Antworten suchen. Die Herausforderung für uns ist, dass wir auch Antworten geben. Da ist die Arbeit in den Pfarreien und auch in den Pastoralen Räumen, die wir jetzt entwickeln, ganz entscheidend. Da werden weiterhin viele sehr gute Erfahrungen gemacht.

      Haben Sie noch weitere Beispiele, was im Bistum Würzburg bereits getan wird, um wieder näher an die Menschen zu kommen?

      In vielen Gemeinden gibt es eine gute Jugendarbeit, sei es über die Verbände, über die Ministrantenarbeit oder die offene Jugendarbeit. Es gibt eine Reihe von Gemeinden, die da sehr gut vernetzt sind. Die Sozialraumorientierung, die wir jetzt mit in den Blick nehmen, soll zeigen, wie wir uns noch stärker mit anderen gesellschaftlichen Akteuren verbinden können. Es ist ja nicht nur so, dass Kirche gute Jugendarbeit macht, auch die Feuerwehren, die Sportvereine und andere gesellschaftliche Institutionen machen dies. Die Frage ist, wie es uns als Kirche gelingt, mit diesen Kontakte zu pflegen, mit ihnen gemeinsam etwas zu machen, bei ihnen zu sein, wenn sie ihre Feste feiern und dann auch mit ihnen Gottesdienste zu feiern. Ich merke und bekomme immer wieder rückgemeldet, dass wir ganz viel wieder gewinnen können, wenn Kirche da ansprechbar ist – für solche Vereine und für die Jugend.

      Sie haben das Thema Sozialraumorientierung schon gestreift. Können Sie prägnant erklären, was genau Sozialraumorientierung meint?

      Grundsätzlich macht Sozialraumorientierung deutlich, dass wir als Menschen in dieser Zeit, in dieser Welt unterwegs sind. Dass wir Christinnen und Christen nicht in einem abgeschotteten, abgeschlossenen Bereich leben, sondern mitten in dieser Welt. Da müssen wir auch schauen, was sind die Fragen der Welt? Was betrifft die Menschen in dem Umfeld, in der Gemeinde? Was sind ihre Sorgen? Dass wir dann schauen, wie wir da gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Akteuren etwas tun können.

      Kirche hat sich bislang eher über ihre Inhalte, ihre Lehre definiert. Sozialraumorientierung heißt dagegen, dass man schaut, was die Leute vor Ort machen und brauchen, wie man sich dort einklinken kann. Wie geht das zusammen?

      Das geht ganz einfach zusammen, das hat Jesus von Nazareth gemacht. Jesus hat mit den Menschen am See von Genezareth in Galiläa gelebt. Er ist mit den Fischern zum Fischen gefahren. Er ist mit den Jüngern durch die Felder gezogen. Die Erfahrungen, die er da gemacht hat, hat er mit dem Wort Gottes in Verbindung gebracht. Er hat das Wort Gottes in die Situation hineingebracht. Kirchliche Inhalte und das Leben der Menschen sind keine zwei Baustellen, sondern ein Paar Schuhe, das zusammengehört.

      Maßgebliche Ebene für die Planung der Seelsorge sollen jetzt die Pastoralen Räume sein. An der Basis bleiben trotzdem die Pfarreien erhalten. Zusätzlich gibt es noch die Dekanate. Braucht es die überhaupt noch?

      Zunächst ist der Fokus da, wo die Menschen leben. Man merkt natürlich – gerade auch bei uns im Frankenland mit den kleinen Dörfern – dass das Leben sich nicht nur in einem kleinen Dorf abspielt, sondern großräumiger ist. Die Jugend trifft sich nicht nur im Dorf. Auch für die Arbeit verlässt man den Ort. Und dieses Großräumigere so zu gestalten, dass Menschen miteinander unterwegs sind – die Kirche bleibt vor Ort, aber man vernetzt sich mit den anderen Gemeinden – das spielt in den Pastoralen Räumen. Was eine Gemeinde allein nicht leisten kann, können mehrere Gemeinden zusammen vielleicht leisten. Sie werden dabei unterstützt von einem Pastoralteam, das für den Pastoralen Raum verantwortlich ist. Der Pastorale Raum ist die Ebene, auf der sich das Pastoralteam bewegt und wo wir auch in der Sozialraumorientierung hinschauen. Da gilt es natürlich auch ein Gremium zu finden, damit die Gemeinden alle gut miteinander vertreten sind. Die Zielperspektive ist letztlich immer, dass da, wo Menschen leben, auch das christliche Leben möglich ist. Es hängt also viel an den Gemeinden vor Ort. Die Dekanate – die neue Mittlere Ebene – orientieren sich an den Landkreisen. Auf Landkreisebene sind die kirchlichen Verbände, ebenso auch die Kreiscaritasverbände schon längst gut aufgestellt. Und wenn wir als Kirche in dieser Welt mit unterwegs sind, haben wir da Partner gegenüber. Es gibt zum Beispiel den Kreisjugendring. Da brauchen wir auch ein kirchliches Gegenüber. Die Mittlere Ebene wird eine schlanke Ebene sein. Da geht es vor allem um Vernetzen, Verknüpfen. Es geht um Vertreten und es geht um Unterstützen.

      Die Pastoralen Räumen sollen gemeinschaftlich geleitet werden. Wie genau soll das aussehen und was können Sie tun, um das zu fördern?

      In einer der Lebensbeschreibungen der Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan heißt es: „fest miteinander vereint brachen sie auf“. Da wird deutlich, dass Teamarbeit etwas ganz Wertvolles ist. Sie ist entlastend und ermutigend. Auch Jesus hat die Jünger immer zu zweit auf den Weg geschickt. Wir sind sehr stark von der Erfahrung des letzten Jahrhunderts geprägt, dass jede Pfarrei ihren Pfarrer hat. Aber diese Zeiten sind vorbei. Wir haben nicht mehr für jede Pfarrei einen Pfarrer, aber wir können ein Team für einen Pastoralen Raum aussenden. Das ist natürlich auch eine Frage der Leitung. Dem Pfarrer ist die Hirtensorge, also die Leitungsaufgabe, anvertraut. Diese Leitungsaufgabe soll „in solidum“, also gemeinsam von den Pfarrern wahrgenommen werden. Da wird es aber einen Moderator geben, der die Arbeit des ganzen Pastoralteams koordiniert. Außerdem haben die Pfarrer, die die Leitung „in solidum“ wahrnehmen, durchaus wie alle anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre eigenen Schwerpunkte innerhalb des Pastoralen Raums. Es kann nicht einer alles machen, sondern es sind unterschiedliche Tätigkeitsfelder, wie Seniorenpastoral, Jugendarbeit oder Notfallseelsorge, die allerdings zu vernetzen sind. Wie genau das gestaltet wird, hängt von den jeweiligen Entscheidungen der Pastoral vor Ort ab. Da spielen die Sozialraumorientierung, die Bedarfe, die Ressourcen sowie die Charismen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit rein.

      Also gibt es einen groben Plan, die genaue Ausgestaltung liegt aber bei den Leuten vor Ort?

      Ja, es wird sicherlich einen Rahmen geben. Aber letztendlich kann man das Leben heute nicht so gestalten, dass man eine Liste hat zum Abhaken und dann sagt „Ich hab jetzt alles abgehakt und alles ist gut“. Wir sind im Moment dabei, pastorale Standards zu entwickeln. Mein Lieblingsbeispiel dazu ist die Taufe. Wenn eine Familie ein Kind taufen lassen will, ist es ganz klar, dass es eine Taufvorbereitung gibt. Ob die Taufvorbereitung aber in einem einstündigem Abendgespräch stattfindet oder ob das ein längeres Treffen oder mehrere Treffen sind – das hängt jeweils von den Situationen vor Ort ab. Genauso verhält es sich zum Beispiel mit dem Raum, den die Schulpastoral einnimmt. Wenn das ein Pastoraler Raum ist, in dem viele Schulen sind, hat die Schulpastoral einen ganz anderen Stellenwert im Gegensatz zu einem Raum mit nur einer oder zwei Schulen.

      Jetzt waren wir vor allem stark bei den Pfarrern und Hauptamtlichen. Wie sieht es denn mit den Ehrenamtlichen vor Ort aus? Wie werden sie für die Seelsorge fit gemacht?

      Die Ehrenamtlichen werden natürlich auch begleitet. Wir dürfen hier auf eine sehr große Schar von Frauen und Männern bauen, die sich in den unterschiedlichsten Feldern engagieren. Seien es beispielsweise die Lektoren und Lektorinnen, die Wortgottesdienstleiterinnen und -leiter, die Jugendgruppenleiterinnen und -leiter oder die, die Seniorenarbeit machen. Es sind schon viele ehrenamtliche Tätigkeitsfelder sehr gut besetzt. Es ist natürlich wichtig, dass wir die Menschen nicht allein lassen, sondern dass sie qualifiziert begleitet werden. Zum einen dadurch, dass es im Pastoralen Raum konkrete Ansprechpartner vom Pastoralteam geben wird, zum anderen durch verschiedene Fortbildungsangebote.

      Zu guter Letzt: Was bedeutet Kirche für Sie persönlich und wie versuchen Sie das den Leuten zu vermitteln, die der Kirche den Rücken kehren oder an ihr zweifeln?

      Kirche heißt für mich persönlich erstmal, dass ich bei meinem Namen gerufen bin. Dass ich mit meinem Leben Antwort gebe oder versuche Antwort zu geben auf den Ruf Gottes. Da bin ich nicht allein, sondern in einer Gemeinschaft, die trägt, aber auch manchmal provoziert. Und dass ich Vertrauen in das Leben und in den Weg habe, weil wir es, um ein Wort von Alfred Delp zu zitieren, nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt. Das ist etwas Entlastendes - zu wissen, dass da einer ist, der ist immer noch der Größere, der ist uns Voraus. Einer, der uns ermutigt, auch herausfordert, aber letztendlich nicht allein lässt. Das ist für mich auch die Kraft von Hoffnung. Mein Primizspruch ist „Sei stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ aus dem ersten Petrusbrief. Ich merke jetzt auch in diesen fast 37 Jahren, wo ich Priester sein darf, dass das für mich immer die Spur ist: Wo gelingt es mir, Menschen ein Stück Hoffnung zu geben? Wo gelingt es mir, Menschen ein Stück auf dem Weg ihres Lebens zu begleiten, dass sie mehr Lebensfreude, mehr Lebenskraft, mehr Lebenshoffnung haben? Und wie sind wir da gemeinsam auf dem Weg als Kirche und geben dadurch Zeugnis von der Liebe Gottes, die uns immer wieder ins Leben ruft. Wenn jemand aus der Kirche austritt, gibt es unterschiedliche Gründe. Letztlich ist aber jeder als Mensch gefragt und ist immer wieder eingeladen, sich mit einzubringen, dass das Leben auf diesem Planeten letztendlich ein gutes wird.

      Interview: Anja Behringer (Sonntagsblatt)