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      Ein Ortstermin im neuen Würzburger Stadtteil „Am Hubland“

      Lernen, neu Kirche zu sein

      Würzburg, Hubland, ein kalter Morgen Anfang März. Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose und seine Mitarbeiterin Elisabeth Wöhrle warten am „Cube“. Der Würfel aus Glas beherbergt das „Gründerlabor“ des „Zentrums für digitale Innovationen Mainfranken“ (ZDI). Ein paar Meter entfernt beginnt das zentral gelegene „Grüne Band“ – das ehemalige Rollfeld der 2008 aufgelösten US-amerikanischen „Leighton-Barracks“, einer von einst vier Würzburger amerikanischen Kasernen. Neubauten überall – links und rechts von der Grünfläche, die für die zweite Würzburger Landesgartenschau 2018 angelegt worden ist; hier sollen einmal rund 5000 Menschen leben.

      „Ich finde es ganz spannend, dass hier so viel im Entstehen ist und ein ganz anderes Lebensgefühl ermöglicht“, bemerkt die Franziskanerin. Auf den Einwurf, das von zahlreichen Neubauten und Grünflächen geprägte Gelände wirke auf den ersten Blick eher kühl, antwortet sie: „Es macht einen sehr großen Unterschied, ob die Fläche belebt ist oder ob wie heute bei schlechtem Wetter nur wenige Leute gemeinsam unterwegs sind.“ An sonnigen Tagen am Wochenende sei das Gelände sehr belebt und ganz und gar nicht kühl, denn da machten Leute dort die Dinge, auf die sie gerade Lust hätten. „Das hat etwas ganz Zwangloses, etwas ganz Freies.“

      Spuren der Vergangenheit

      Es gibt aber auch Spuren der bewegten Vergangenheit im rund 140 Hektar großen „Plangebiet Hubland“. Alt ist beispielsweise die Substanz des Einkaufszentrums „Hubland Center“, eines ehemaligen Flugzeughangars aus den 1930er Jahren. An die militärische Nutzung des Geländes erinnert auch der „Treffpunkt Tower“. Im Unter- und Erdgeschoss des ehemaligen Flughafen-Kontrollturms ist seit 2019 die Stadtteilbücherei untergebracht.

      Eine Kirche fehlt allerdings im zum Würzburger Stadtteil „Frauenland“ gehörenden Quartier: 2016 wurde die – kurz zuvor renovierte – „Chapel“ abgerissen, in der zu US-Zeiten Katholiken und Protestanten, Juden und Muslime Gottesdienst gefeiert haben. Die Frage lautet also: Wie soll die geistliche Betreuung der Hubländerinnen und Hubländer in Zukunft aussehen? Denn laut Burkhard Hose ist bisher nicht geplant, am Hubland eine Kirche zu bauen.

      Die Protestanten haben schon 2022 eine Entscheidung getroffen: Am 30. März wird der evangelische Dekan Wenrich Slenczka bei einer „Kick-Off-Veranstaltung“ das MUT-Projekt „Kirche am Hubland“ – Mut steht für „missional-unkonventionell-tandem“ – der evangelisch-­lutherischen Kirche in Bayern offiziell eröffnen. Ansprechpartnerin ist die ­Sozialarbeiterin und Religionspädagogin Stine Hassing, die am Hubland bereits einige Veranstaltungsformate wie eine „Schatzsuche“ oder „Kamishibai“, das Erzählen von Geschichten zu Bildern in der Stadtteilbücherei, entwickelt hat.

      Um mögliche katholische Antworten geht es heute bei dem „Shared Walk“, einem „geteilten Spaziergang“ am „Grünen Band“ entlang mit Burkhard Hose und Elisabeth Wöhrle. Seit Januar 2023 sind sie offiziell von Bischof Franz Jung mit dem Projekt „Hubland Nord“ beauftragt – bis 2026.

      Annäherung an das Gelände

      Begonnen hat die „Annäherung an das Gelände“, wie es der Hochschulpfarrer nennt, allerdings schon vor zwei Jahren. Die freien Sichtachsen seien das, was sie als Seelsorger innerlich und äußerlich reize und auch theologisch anspreche, sagt Hose. „Das ist ein anderes Lebensgefühl als in der Stadt.“ Mit Blick auf den „Cube“, in den man sich einmieten kann, und den „Treffpunkt Tower“ berichtet er: „Es gibt hier Orte, die sich vorübergehend nutzen lassen. Ich habe das Gefühl, dass es räumlich und gedanklich hier darum geht, Verbindungen zu nutzen.“

      Gegenüber vom „Cube“ wartet ein Kontrastprogramm: Dort lädt eine monumentale Pietà aus Sandstein zur Andacht ein. Gestiftet von dem Würzburger Ehepaar Rossat 1737, wurde sie Anfang des 19. Jahrhunderts im Auftrag des Würzburger Aufklärungstheologen Franz Oberthür zum Denkmal für den „Kartoffelprofessor“ Philipp Adam Ulrich umfunktioniert. Der Geistliche ist in der Würzburger Kirche St. Peter begraben, und die Pfarrei erinnert mit dem alljährlich stattfindenden „Kartoffelessen“ an den Pionier des Kartoffelanbaus in Unterfranken.

      Die Pietà – ein möglicher Ansatzpunkt für die von Hose genannten „Verbindungen“? „Ich glaube, wenn dieser Ort jemand etwas bedeutet, kann man da ansetzen“, antwortet Wöhrle. „Das ist vielleicht ein Ort, wo sich Leute mit ihrer Verzweiflung und ihrer Klage aufgehoben fühlen.“

      Von der Leere zur Weite

      Generell sei die Geschichte am Hubland nur in Spuren zu finden – das gelte für die amerikanische Kaserne, kirchliche Orte und auch die ehemalige Hinrichtungsstätte am Galgenberg, sagt die Franziskanerin. „Der lange Leerstand hat den Ort ein Stück geleert“, so die Franziskanerin. „So kann hier etwas Neues anfangen.“ „Leere ist ein Begriff, der Angst macht und verunsichern kann“, sagt Hose und schaut auf das leere „Grüne Band“. „Ich finde es auch etwas Verunsicherndes. Was machen wir eigentlich hier?“ Ein freies Feld habe ja erst einmal etwas Irritierendes, und man frage sich, wie es gefüllt oder aufgeladen werden solle. „Es gibt den Horror vacui (Angst vor der Leere), und es gibt die Laetitia vacui (Freude über die Leere). Spannend finde ich, wo sich Leere zur Weite wandelt.“

      Die Vergangenheit des neuen Stadtteils ist in Form von an Flugzeugen erinnernden Stelen präsent. Dort erfährt man unter anderem, dass auf dem Galgenberg seit 1754 ein gemauerter Galgen stand – das Hubland, auch ein Ort des Todes. Hingerichtet wurde dort auch am 29. August 1859 der Großwallstädter Philipp Suffel – eine Premiere, da bei dieser Gelegenheit erstmals in Würzburg das Fallbeil zum Einsatz kam. An diesem Tag seien wie bei einem Volksfest „fliegende Kantinen“, also mobile Essensstände, aufgeschlagen gewesen.

      Von 1945 bis 2008 war das Hubland meistens ein verschlossener Ort – Zugang zur amerikanischen Kaserne hatten die Würzburger nur während des „Deutsch-amerikanischen Volksfests“. „Beim Volksfest gab es Eis“, erzählt Hose. „Und in der Mall konnte man einkaufen“, ergänzt Wöhrle. „An sich erinnere ich mich eher an Bilder von einem abgeschotteten Areal. Beim ersten Golfkrieg wurden die Mauern um die Kaserne noch einmal höhergezogen“, bemerkt Hose.

      Wabe B

      Seit 2017 ist am Hubland auch die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) zusammen mit der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) präsent, und zwar in der „Wabe B“, einem Teil des wabenförmig gebauten, ehemaligen amerikanischen Kindergartens. „Das ist wieder so eine sichere Base, die wir jetzt verlassen“, bemerkt Hose. „Hier haben wir gelernt. Wir haben zuerst sehr vom Raum her gedacht, tolle Angebote gemacht und fast der ganzen Woche eine Struktur gegeben“, erinnert er sich.

      Dann habe die KHG gemerkt, dass die Leute diese Angebote gar nicht gebraucht hätten: „Wir haben dann einfach nur einen Raum angeboten. Oder es gab so etwas wie Yoga in der Mittagspause plus gemeinsames Suppenessen, was einfach zum Tagesablauf gepasst hat“, berichtet Hose. „Oder wir haben Lernraum vor den Prüfungen zur Verfügung gestellt, weil es da in den Bibliotheken immer eng wird“, ergänzt Wöhrle. „Und es haben sich Gruppen eingemietet, um eine Backaktion zu machen, weil da tolle Möglichkeiten zur Verfügung stehen.“ Es habe sich dabei eher um sporadische Veranstaltungen gehandelt. Das Motto sei gewesen „Nutzt den Raum so, wie ihr ihn braucht“, sagt die Franziskanerin. Öffentlichkeitswirksam war das alljährliche Angebot „Grill and chill“ im Sommer, bei dem auch die Big Band der KHG aufgetreten ist.

      Gucken und lernen

      Nach dem für Sommer geplanten Umzug in die renovierte Uni-Mensa gegenüber der Universitätsbibliothek sei für die KHG wieder Lernen angesagt: „Wir gucken einfach, was in der Uni-Mensa gebraucht wird“, so Hose. „Wir haben von hier mitgenommen, dass für Studierende ein Raum der Stille fehlt. Das könnte so eine Spur sein“, ergänzt Wöhrle. Und Hose betont, es gehe darum, gute Räume zu schaffen, wo man beispielsweise einfach nur sitzen könne – konsumfrei.“

      Am Wegrand sieht man ein Mini-Fußball und ein Basketballfeld. „Das Spielerische ist auch ein Teil des Konzepts“, bemerkt der Theologe. Das Gelände rege auch die Fantasie an: „Was ist aus den Menschen geworden, die hier gelebt haben?“, sagt Hose und wirft einen Blick auf die grauen und braunen Wohnblocks, die jetzt zum Teil von Instituten der Universität genutzt werden.

      Dann taucht die Frage auf: Kann der neue Stadtteil Heimat werden? „Für Leute, die sich hier einkaufen oder hier auf Zeit wohnen, sicher“, antwortet Wöhrle. „Der Heimatbegriff ist ja auch vielschichtig“, bemerkt Hose: „Ist das das Dorf, aus dem ich komme? Oder ist es vielleicht auch einfach für fünf Jahre an der Uni arbeiten und hier beheimatet sein?“

      Zufällig fällt der Blick auf eine Stele, die das Leben von Gefangenen und Vertriebenen am Hubland beschreibt: Im Ersten Weltkrieg waren hier französische Kriegsgefangene untergebracht, und nach dem Zweiten Weltkrieg lebten hier von 1948 bis 1951 1100 Vertriebene. Ob das Hubland auch für die Kriegsgefangenen und die Vertriebenen Heimat geworden ist? Die KHG sei zumindest für die Studierenden so etwas wie Heimat geworden – „zumindest Teil der Biographie. Stück von ihrer Persönlichkeit“, sagt Hose. „Und das ist Heimat.“ Wir sind am Endpunkt des „Grünen Bands“ angekommen und steigen einige Stufen zum Aussichtspunkt „Belvedere“ hinauf. Der Blick schweift über das ehemalige Rollfeld Richtung Festung.

      Herausforderung

      Auf dem Weg zurück zum „Cube“ erzählen Hose und Wöhrle von den Projekten „Sankt Maria als“ in Stuttgart, „Kirche in Franklin“ in Mannheim und „FranZ“ im Wiener Nordbahnviertel. Dort gehe es ebenfalls darum, neue Formen der Seelsorge jenseits der normalen Pfarreistrukturen zu entwickeln. „Die Haltung, die wir gerade lernen, verbindet sich mit Erfahrungen an anderen Orten“, berichtet Hose. „Es geht darum, neu Kirche sein zu lernen.“ Begleitet werden Hose und Wöhrle von Theologen, die an dem seit kurzem bei der Universität Münster angesiedelten Forschungsprojekt „Kirche am Hubland – ein urbanes Pionierprojekt“ mitwirken.

      Wenn Hose am „Grünen Band“ unterwegs sei, habe er erst einmal den Eindruck, dass hier niemand Kirche vermisse, wenn es nicht darum gehe, sein Kind taufen zu lassen. „Es ist schon ein Raum, der das kirchliche Selbstbewusstsein herausfordert.“ Diese ungewohnte Situation biete auch die Chance für eine Neu­orientierung der Kirche: „Warum muss Kirche immer die Einladende oder An­bietende sein?“, fragt der Theologe. „Sie kann ja auch mitmachen und mitspielen. Nach Regeln, die andere vorgeben.“ Und Wöhrle ergänzt: „Warum muss Kirche immer einen Raum anbieten?“

      Zumindest eine spirituelle Veranstaltung haben Hose und Wöhrle allerdings am Hubland schon geplant: Am 8. Juli laden sie dort zum „Experiment: ein Tag auf der Straße“ ein, das sich am Konzept der „Exerzitien auf der Straße“ orientiert.

      Ein religiös „bespielbarer“ Raum existiert schon seit 2018 am Hubland: die für die Landesgartenschau errichtete „Ökumenische Wegkapelle Trinitatis“, die vom Würzburger Architekturbüro „Brückner & Brückner“ geplant und 2019 von der damaligen evangelischen Dekanin Edda Weise und dem heutigen Generalvikar Jürgen Vorndran eingeweiht wurde. Aktuell ist unklar, wie die kleine Kapelle mit der den Himmel und die Umgebung reflektierenden Hülle aus Blech weiter genutzt werden soll. „Der ursprüngliche Zweck ist jetzt nicht mehr gegeben“, sagt Hose. „Und damit stellt sich so etwas wie eine gewisse Hilflosigkeit im Umgang mit dem Bauwerk ein.“ Eine Lösung könnte sein, dass die Wegkapelle als Ort der individuellen Einkehr genutzt wird, sagt Wöhrle. Aber auch hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Plötzlich tanzen feine Schneeflocken durch die kalte Luft.     

      Stefan W. Römmelt

      Experiment: ein Tag auf der Straße
      Informationen zu „Experiment: ein Tag auf der Straße“ im Internet unter: https://www.khg-wuerzburg.de/programm/veranstaltungen/va-detail/experiment-ein-tag-auf-der-strasse/.