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      Laufen, laufen, laufen

      Nach 82 Tagen, 2543 Kilometern und 72 055 Höhenmetern war das eigentliche Ziel erreicht. Robert Reuscher aus Burghausen (Dekanat Bad Kissingen) stand am 12. Oktober 2018 vor der weltberühmten Basilika im spanischen Santiago de Compostela. Der Pilger hatte nach seinem Aufbruch zweieinhalb Monate zuvor (Artikel im Sonntagsblatt Nr. 30, 2018) in Konstanz den Endpunkt des bekannten Jakobswegs erreicht. Das zweite Ziel, das während des Fußmarsches durch halb Europa dazugekommen war, war da aber noch mehrere Flugstunden entfernt. Robert Reuscher sollte es erst einige Tage später erreichen.

      Robert Reuscher erzählt am heimischen Küchentisch in Burghausen von seiner Pilgerreise auf dem – spätestens seit Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ – berühmtesten Pilgerweg Europas. Er fasst sich an eine imaginäre Tasche an seinem rechten Bein, dann an die Gesäßtasche, tut, als ob er etwas in die Hand nimmt, setzt einen imaginären Hut auf und deutet auf seinen Rücken. Das waren die morgendlichen Pilgerhandgriffe wenn er – meist gegen sieben Uhr – aufbrach. Reuscher zählt auf: „Geldbeutel, Handy, Pilgerpass, Pilgerstab, Hut und Rucksack“. Sie waren seine täglichen Begleiter auf dem Weg nach Santiago de Compostela.

      Nachdem er in den Vorjahren bereits in drei Etappen den Jakobsweg in Deutschland von Bad Kissingen nach Konstanz zurückgelegt hatte, war er nach einem Gottesdienst mit Pilgersegen am 29. Juli mit dem Zug von Burghausen an den Bodensee aufgebrochen. Von dort ging es durch die Schweiz und Frankreich nach Spanien. Begleitet haben ihn nicht nur seine Pilgergegenstände. Für Robert Reuscher waren unterwegs „die vielen Begegnungen mit den Menschen“ und „die Freundschaften, die man schließt“ das Schönste.

      Schöne Begegnungen

      Da waren zum Beispiel der Schweizer Nico oder die Deutsche Hannah. Tagsüber sei zwar oft jeder sein eigenes Tempo gelaufen – „Ich brauche es nicht, den ganzen Tag zu quatschen“, sagt Reuscher – aber spätestens abends an der Pilgerherberge, ganz selten auch einmal in einem Hotel, habe man sich wiedergetroffen. Irgendwann trennten sich die Wege dann jedoch immer. Jeder hatte letztendlich sein eigenes Tempo.

      Mit Herbert aus Deutschland ist der fränkische Pilger die längste Zeit gemeinsam gelaufen, fast komplett durch Frankreich und noch ein kleines Stück durch Spanien. „Viele machen sich auf den Weg, um etwas zu suchen oder zu finden“, schildert Reuscher seine Erfahrungen mit den anderen Pilgern. Der 63-jährige Herbert etwa hatte sich einen Monat nach seinem Rentenbeginn auf den Weg gemacht, und nachdem nach 45 Jahren seine Ehe gescheitert war. 

      Was war Robert Reuschers Beweggrund für die Pilgerreise? „Dankbarkeit“, sagt der 60-Jährige, „für gesunde Kinder und Enkel und für eine glückliche Familie.“ Die Trennung von seinen Lieben ist dem Pilger während der Reise dann, wie erwartet, auch am schwersten gefallen. Via Handy hielt er zwar Kontakt mit zu Hause, doch das war kein wirklicher Ersatz. Manchmal habe er auf dem weiten Weg schon heulen müssen – zum Beispiel wenn der Körper ausgepowert gewesen sei oder wenn er gerade ein undefinierbares Mittagessen aus der Dose gegessen und just dann ein Foto von der Familie beim Grillen bekommen habe. „Eventuell ist auch der Kontakt mit dem Handy negativ? Vielleicht sollte man nicht so viel Kontakt haben?“, grübelt Reuscher, und am heimischen Esstisch blitzt kurz wieder der Jakobspilger hervor, der viel Zeit zum Nachdenken hatte.

      „Manchmal ist es wie Meditation, bei der man gar nichts mehr denkt“, beschreibt der gelernte Bauschlosser das, was beim Gehen auf dem Pilgerweg im Kopf geschieht. Dann begleiteten einen nur das Geräusch des Pilgerstabs und die eigenen Schritte. Ein Rhythmus entstehe. Reuscher ist auf dem Jakobsweg klar geworden, was wirklich zählt: das Leben an sich, die Familie – für sie will er sich nun mehr Zeit nehmen – und die Freunde. „Man merkt, dass man vieles gar nicht braucht“, sagt er. Man werde achtsamer, lerne Menschen und Natur neu schätzen.

      Schneller als gedacht

      Auch der Glaube ist für Robert Reuscher unterwegs ein anderer geworden. Intensiver. Er hat auf dem Weg gebetet, viele Kirchen besucht. Irritiert hat ihn, dass die Gotteshäuser in Frankreich und Spanien oft verschlossen waren. Einmal hat ihm in Frankreich aber ein Priester, der neben der Kirche wohnte, spontan die Kirche aufgeschlossen. Gastfreundschaft bewies eine Kellnerin, die, als Reuscher und Hannah keinen Platz zum Übernachten fanden, kurzerhand das Kinderzimmer freiräumte. „Es war immer ein Abenteuer, wo man Abends hinkommt“, sagt der Jakobspilger.

      Einmal hat er kein Bett gefunden. Eine Parkbank musste spätabends genügen. „Da bin ich mir schon vorgekommen wie ein Penner“, erzählt Reuscher. „Da fragt man sich dann schon, warum man das macht.“ Am Morgen ist er extra früh aufgestanden, damit ihn niemand sieht.

      Doch ans Aufgeben hat Robert Reuscher nie gedacht. Santiago de Compostela, hieß sein Ziel. Am 29. August jedoch kam ein zweites Ziel dazu: Rosa. Zu Hause in Deutschland war das vierte Enkelkind geboren worden. Die Nachricht erreichte den Pilger per WhatsApp. „Von da ab war es eine schwere Zeit“, sagt Reuscher, der das kleine Mädchen so gerne im Arm halten wollte.

      Er wurde in der Folge immer schneller. Statt der ursprünglich geplanten 25 Kilometer pro Tag hat er durchschnittlich 31 Kilometer zurückgelegt. Die längste Tagesetappe betrug einmal sogar 48 Kilometer. So war er am Ende etwa drei Wochen früher als gedacht in Santiago. „So eine Kondition werde ich wohl nie mehr in meinem Leben haben“, sagt Reuscher. Zurück daheim legte er in sagenhaften viereinhalb Stunden die 25 Kilometer von seinem Heimatort Burghausen zum Kreuzberg bei Bischofsheim zurück.

      Unterschiedliche Pilger

      Dass die Jakobspilger auf ganz unterschiedliche Art unterwegs sind, war Robert Reuscher auf der Reise schnell klar. Ein kleines innerliches Kopfschütteln schwingt bei ihm schon mit, wenn er von den „Kofferpilgern“ erzählt, die sich ihr Gepäck von Hotel zu Hotel transportieren lassen. Doch er sagt über das Pilgern auf dem Jakobsweg: „Vielleicht soll es jeder machen, wie er denkt.“

      Um die „echten“ Pilger zu erkennen, hatte Reuscher einen Trick. „Ich habe immer auf die Hautfarbe geschaut“, verrät er. War einer braun gebrannt, war er wie er selbst schon länger unterwegs, und hatte unter der heißen Sonne ebenfalls viel geschwitzt. Regen hatte Reuscher nur ein einziges Mal – bei der Ankunft in Santiago de Compostela.

      Tja, die Ankunft. Mit Daniel, einem Schweizer, und Marianna, einer Deutschen, hat der fränkische Pilger das letzte Stück Weg vor Santiago zurückgelegt. War die Strecke in der Schweiz noch recht einsam gewesen, wurde es ab Le Puy in Frankreich zusehends voller, und die letzten 200 Kilometer vor Santiago waren schließlich total überfüllt. „Da macht es dann keinen Spaß mehr“, sagt Reuscher. Trotzdem habe er die Ankunft an der Pilgerbasilika „genossen.“ Mit dem Einlaufen bei der Vierzehnheiligenwallfahrt – wenn die Kapelle „Großer Gott wir loben dich“ spiele und die Nüdlinger Kirchengemeinde dabei sei – sei die Ankunft am spanischen Megapilgerort dennoch nicht vergleichbar. „Vierzehnheiligen ist ergreifender“, sagt Reuscher.

      Endlich am Ziel

      Die Augen werden ihm am heimischen Esszimmertisch daher erst feucht, als er vom Atlantik erzählt. Wie viele Pilger lief Reuscher nach dem Gottesdienst in Santiago tags darauf noch weiter zum Kap Finisterre. Dort stand er barfuß im Meerwasser und wurde von dem Gedanken überwältigt: „Du bist zu Fuß bis zum Atlantik gelaufen.“ Und das ohne Blase am Fuß. Pilgerglück!

      Ein viel größeres Glück wartete für Robert Reuscher allerdings zu Hause in Deutschland. Nachdem er seine Frau bereits am Ende der Reise in Spanien wiedergetroffen hatte, hieß ihn bei seiner Ankunft am Bahnhof in Münnerstadt die ganze Familie willkommen – inklusive Baby Rosa. Reuscher schloss sie überglücklich in die Arme. Ziel endgültig erreicht.

      Anna-Lena Herbert