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      In Zeiten eines Donald Trump fühlen sich viele Juden nicht mehr sicher

      Jüdisches Leben in den USA

      Seit über zweihundert Jahren gelten die USA als sicherer Hafen für Juden in der Diaspora. Viele sind vor Krieg und Verfolgung in Europa über den Atlantik geflohen. Dort trafen sie auf eine Gesellschaft, in der sie frei leben konnten. Lange Zeit über galt Antisemitismus in den USA als uneingeschränkt tabu. Heute nicht mehr.

      Die Präsidentschaft von Donald Trump hat die Atmosphäre im Land verändert. Insbesondere seit dem Massaker in Pittsburgh fragen sich immer mehr Juden, ob sie auch in Zukunft noch unbeschwert dort leben können. Während der Sabbatfeier in einer Synagoge der Upper West Side von Manhattan sitzen rund hundert jüdische Gläubige auf Holzbänken. Eine Frau mit langen, grauen Haaren trägt einen weißen Tallit, ihren rituellen Gebetsmantel, auf den sie einen Aufruf zum politischen Widerstand genäht hat.

      Zum ersten Mal wirklich Angst

      Die Rechtsanwältin Elisabeth Langer bezeichnet sich seit ihrer Pensionierung als Künstlerin. Sie malt und verbindet ihre Kunst mit politischem Protest gegen Donald Trump. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich wirklich Angst, weil ich Jüdin bin“, sagt sie. „Ich habe den Eindruck, wir leben in einer Zeit, die vergleichbar ist mit der Zeit der Machtübernahme Hitlers in Deutschland. Es geschehen wieder so furchtbare Dinge.

      In unserer Nachbarschaft werden Hakenkreuze auf Wände gesprüht. Es hat Massaker an Juden gegeben. Unsere Synagogen und unsere Schulen brauchen immer mehr Sicherheitspersonal. Es gibt so viel Hass. Und der beginnt ganz oben, bei den mächtigsten Personen unseres Landes. Das ist gefährlich.“

      Neben Elisabeth sitzt ihr Mann Richard Chused. Auch er ist Jurist und lehrt seit 50 Jahren an der New York Law School. Er hat sich entschieden, ein Zeichen zu setzen: „Normalerweise trage ich keine Kippa. Aber jetzt habe ich mich entschieden, ständig eine zu tragen. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich so ein Gefühl wie jetzt, dass es nicht mehr angemessen ist, mein Judentum zu verbergen.“

      Andere Juden reagieren völlig anders. Manche argumentieren, gerade jetzt sei es vernünftig, sich in der Öffentlichkeit nicht mehr als jüdisch zu erkennen zu geben. Die zwanzigjährige Studentin Tova Frank hat eine Entscheidung getroffen, auf die sie nicht stolz ist: „Wenn ich zur Arbeit gehe, trage ich nicht mehr diese Kette mit dem David-Stern, weil die Atmosphäre gegenüber Juden derzeit so angespannt ist. Aber die Entscheidung macht mich auch traurig.

      Es fühlt sich so an, als hätten mir diese Leute etwas genommen. Doch in Bezug auf die persönliche Sicherheit muss man einfach praktisch denken. Zur Zeit will ich nicht öffentlich als Jüdin erkannt werden.“ Tova verkauft Theaterkarten am Broadway. Am Times Square laufen Tausende sehr unterschiedliche Menschen an ihr vorbei. Früher hat ihr das nichts ausgemacht:

      „Als meine Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ost­europa hierher gekommen sind, nannten sie die USA das ‚Golden Amaden‘. Das ist Jiddisch und bedeutet ‚goldenes Land‘, ein sicherer Hafen der religiösen Freiheit. Jüdische Menschen haben hier so viele Möglichkeiten, offen zu leben, wie sonst nirgends. Wir können uns in der Arbeitswelt einbringen und auf allen Ebenen der Regierung. In der Geschichte des Judentums sind wir anderswo immer davon abgehalten worden, bestimmte Arbeiten oder Regierungsämter zu übernehmen.“

      Zunehmende Spaltung

      In Tovas Heimatstadt New York leben weit über eine Million Juden, mehr als in irgendeiner anderen Stadt der Welt. Doch die jüdischen Gemeinden sind zunehmend gespalten. Während die meisten Juden in den USA der Demokratischen Partei ihre Stimme geben, fühlen sich jüdische Unterstützer von Trump zunehmend an den Rand gedrängt. „Leider ist es hier so, dass offene Kritik nicht möglich ist“, sagt eine ältere Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Man darf nicht das gängige Vorurteil kritisieren, das da lautet: Alles, was Obama getan hat, war gut und wunderbar – und alles, was Trump tut, ist schlecht.“ Die pensionierte Psychoanalytikerin ist als Kind aus Deutschland geflohen. Später hat sie Holocaust-Überlebende behandelt.

      Die verbreitete kosmopolitische und liberale Haltung vieler junger Juden in den USA hält sie für naiv. So zu denken sei ein Privileg der Jugend, die in einem sicheren Land aufgewachsen ist und vom Holocaust nur aus Erzählungen und Geschichtsbüchern weiß. Wer die Grauen miterlebt habe, könne sich solche Naivität nicht leisten. „Mein Vater war das jüngste von acht Kindern. Die Faschisten haben alle seine Geschwister umgebracht. Es gibt einen Unterschied, wie Kinder von Überlebenden die Welt sehen und wie Kinder von jüdischen US-Amerikanern, die hier aufgewachsen sind.“

      So ähnlich denken viele Rabbiner der jüdisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaften, die jedoch meist keine Interviews über Trump geben wollen. Eine Ausnahme ist Rabbi Mike Moskowitz, ein ultraorthodoxer, litauischer Jude. Er beschreibt sich selbst: „Ich trage einen langen Bart, eine lange, schwarze Jacke, einen schwarzen Hut und ich lebe in der ultraorthodoxen Gemeinde Lakewood in New Jersey.“ Als den wichtigsten Teil seiner Identität bezeichnet Mike Moskowitz die Studien alter Texte. Aber die aktuelle Politik interessiert ihn auch. „Es gibt Teile der orthodoxen Gemeinde, die Trump unterstützen, weil er so pro-Israel handelt.

      Ich denke zwar, die meisten von ihnen sehen sein Privatleben sehr kritisch, doch zumindest entspricht es der Vorstellung vieler Orthodoxer, dass der Präsident dieses Landes ein weißer Mann sein muss. Außerdem sehen einige Juden nur ein Thema: Sie wollen eine starke Beziehung zwischen den USA und Israel. Wenn es Israel gut geht, dann geht es mir gut, sagen sie. Der ganze Rest spielt keine Rolle.“ Sieben Monate nach der Amtseinführung von Trump kam es zu dem größten rechtsextremistischen Aufmarsch in den USA seit Jahrzehnten.

      Eingeladen hatten unter anderem Gruppen von Neonazis, Ku-Klux-Klan Anhängern und bewaffneter rechter Milizen. In Charlotteville, Virginia, marschierten Demonstranten unter dem Motto „Unite the right!” – „vereinigt die Rechte”. Viele skandierten: „Juden werden uns nicht vertreiben.“ Die Polizei griff nicht ein. Öffentlicher Tabubruch Solch ein öffentlicher Tabubruch wäre vor der Ära Trump unvorstellbar gewesen, meint Julie Wiener, die Pressesprecherin der progressiven jüdischen Organisation TRUAH: „Es gibt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass Antisemitisums ein zentraler Bestandteil des weißen Nationalismus ist. Die Rechten behaupten, Juden würden bewusst versuchen, die Kultur der Weißen zu unterwandern. Sie verbreiten diese Konspirationstheorie, Juden würden im Verborgenen die Zerstörung des Landes betreiben, indem sie immer mehr Migranten hierher holen. Ein solcher Gedankengang hat den Mann in Pittsburgh dazu motiviert, auf Juden zu schießen. Er war überzeugt, Juden seien verantwortlich für eine Bedrohung durch Migration.“ Im Oktober vergangenen Jahres stürmte in der Stadt Pittsburgh ein bewaffneter Mann in eine Synagoge, eröffnete das Feuer und brüllte: „Tod den Juden!“ Elf Menschen starben.

      Seit 2016 hat sich die Zahl antisemitischer Vorfälle, die an Schulen und Universitäten angezeigt werden, verdoppelt. Trotzdem macht es dem Juraprofessor Richard Chused Hoffnung, wenn er die aktuelle Situation mit den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vergleicht: „Ich denke, ein großer Unterschied zwischen heute und den vierziger, fünfziger Jahren ist, dass damals viele Juden gesagt haben: Jetzt nach dem Holocaust sollten wir uns bemühen, unsichtbar zu werden. Diesmal ist die Reaktion der jüdischen Bevölkerung eine andere. Die meisten sind bereit zu sagen: Ich bin jüdisch. Ich bin stolz darauf. So bin ich halt. Ihr müsst das akzeptieren.“

      Andreas Boueke