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      Jüdisch – christlich – geschwisterlich: Oberflächliche Deutungen verzerren die Wahrnehmung des Alten Testaments

      Ist Gott ein Gott der Rache?

      Menschliche Gefühle prägen das biblische Geschehen. Da werden Kriege geführt, Gegner massakriert, Täuschungen angewandt. Zugleich begegnet uns selbstlose Liebe bis zur Hingabe des eigenen Lebens. Auf den ersten Blick finden sich die Liebeserweise vor allem im Neuen Testament, während das Alte Testament mit einer Fülle an Gewalt aufzuwarten scheint. Dass diese Wahrnehmung einseitig ist und zum Teil auf Fehldeutungen beruht, verdeutlicht dieser Beitrag.

      Gleich vorneweg: Es gibt Gewalttexte im Alten Testament, die auch mich zumindest auf den ersten Blick fragen lassen, wie das bitteschön „Wort Gottes“ sein kann. Ich denke da zum Beispiel an die skandalöse Beinahe-Opferung Isaaks durch Abraham (Gen 22) oder so manche kriegerische Auseinandersetzung. Dazu kommt, wenn wir mit unserem heutigen Blick manche Textpassagen lesen oder hören und sie nicht einordnen können, empfinden wir sie als besonders anstößig. Auch im Neuen Testament jedoch finden sich Stellen, die mit Gewalt oder Rache in Verbindung stehen. Ich denke an das erklärungsbedürftige Jesuswort „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen“ (Lk 12,49) oder jenes „Strafwunder“, bei dem ein nicht genügend spendebereites christliches Ehepaar von Petrus niedergestreckt wird und den Tod findet (Apg 5,1–11) – um nur zwei Beispiele zu nennen.

      In Verruf geraten

      Doch gehen wir zurück zum Alten Testament. Die genannten Texte und andere Erzählungen haben dazu geführt, dass bei vielen nachhaltig der Eindruck entstanden ist: Das Alte Testament ist eine religiöse Textsammlung mit viel „Mord und Totschlag“. Längst hat sich das „Auge für Auge“ (Ex 21,24) als angeblich typisches Beispiel für das Alte Testament verselbstständigt und ist zum Sprichwort für eine rachelüsterne Haltung geworden. Diese Texte sind aus ihrer Zeit heraus vielleicht noch irgendwie verständlich. Mit uns heute aber – so eine Ansicht – haben sie doch (hoffentlich) gar nichts zu tun. Vor allem sehen wir uns heute in den Vorstellungen über Gott weiterentwickelt.

      Kirchlicherseits haben manche Predigten oder der Religionsunterricht in früheren Jahren diese Auffassung zusätzlich untermauert oder sind ihr zumindest nicht deutlich entgegengetreten. Die Folgen für die Einschätzung des Alten Testaments sind bis zum heutigen Tag jedoch immens, wenn sie nicht sogar nach wie vor in diese Richtung geprägt wird. In der katholischen Sonntagsliturgie wird leider häufig nur eine statt der zwei vorgesehenen Lesungen vor dem Evangelium ausgewählt. Diese ist dann gerne die neutestamentliche, was sicher nicht von ungefähr kommt. Dabei: In vielen Gemeinden hören die Mitfeiernden natürlich auch zwei Lesungen vor dem Evangelium – schön und wertvoll, wo „der Tisch des Wortes“ dadurch reicher gedeckt ist. Diese Praxis kann man nur gutheißen und auf eine immer stärkere Umsetzung hoffen.

      Gott mit zwei Gesichtern?

      Die Denke, die in der Bewertung des Alten Testaments eine Rolle spielt, geht jedenfalls häufig ungefähr so: Im Neuen Testament sei mit dem Auftreten Jesu im Unterschied zur alttestamentlichen Darstellung Gottes wahres Gesicht, seine Liebe endlich zum Vorschein gekommen. Daher müsse der Schwerpunkt auch auf den neutestamentlichen Texten liegen. Von einer pauschalen Textwahrnehmung her ist es nun ein vielleicht naheliegender Schritt, dass man die jüdische „Bibel“, die weitgehend dem Alten Testament entspricht, einseitig mit einem „jüdischen Gottesbild der Gewalt und Rache“ verbindet. Ihm stellt man das Neue Testament mit einem „christlichen Gottesbild der Liebe“ gegenüber. Dadurch zeigt sich offensichtlich ein antijüdischer Vorwurf. Das Judentum habe ein überkommenes Gottesbild, das vom Christentum qualitativ überboten worden sei. Zugegeben: Diese Zuspitzung mag etwas zu pointiert sein, zeigt gleichwohl eine Richtung an, die den meisten nicht ganz fremd sein dürfte.

      Wie steht es also um Texte und Erzählungen des Alten Testaments, die Gewalt zum Thema machen? Braucht man nur die richtige Erklärung und „alles ist gut“ und heutige Leserinnen und Leser haben dann wieder ein „wohlgefälliges Wort Gottes“ vor sich? Natürlich geht es so nicht – und es soll wohl auch anders sein. Die Bibel, die Christinnen und Christen ganz bewusst als „Heilige Schrift“ bezeichnen, will gar nicht „wegerklärt“ werden: Sich an ihr zu reiben und auch die ganz großen Fragen aufkommen zu lassen, könnte ja beabsichtigt sein. Gleichzeitig kann einem manchmal durch eine Erklärung das eine oder andere Licht im Verständnis der Texte aufgehen.

      Kein Kult um die Gewalt

      Als Grundbotschaft rund um die Gewalttexte halte ich für wichtig, dass die Bibel Gewalt ernst nimmt, sie aber nie um ihrer selbst willen erzählt oder gar verherrlicht. Vielmehr ist gerade aus alttestamentlicher Sicht Gott derjenige, der Gewalt begrenzt und eindämmt und die Menschen zu einem friedlichen Weg motiviert oder selbst Frieden stiftet. Ein eindrückliches Beispiel dafür findet sich schon in den ersten Kapiteln des ersten Buches der Bibel, der Genesis. So erhält der Brudermörder Kain ein Zeichen von Gott, das ihn vor weiterer Verfolgung und Rache schützt (Gen 4,1–16):

      Gewalt muss ein Ende haben, es darf keine Gewaltspirale geben. Mindestens genauso prominent ist einige Passagen später die Gewalt der großen Flut (Gen 7), mit der Gott zunächst sehr entschlossen auf die Boshaftigkeit des Menschen reagiert. Doch schließlich reut ihn seine Entscheidung und er schließt mit seiner guten Schöpfung einen neuen, immerwährenden Bund (Gen 9,1–17). Gott begrenzt nicht nur Gewalt, er wandelt sie in Frieden um. Wer sich also etwas näher mit einem Widerspruch provozierenden Text befasst oder die Zusammenhänge entdeckt, wird meistens Ansätze zur Einordnung oder Erklärung finden.

      Gerne möchte ich an dieser Stelle etwas auf die Wendung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ eingehen, da die Beschäftigung mit ihr einige Überraschungen bietet. Diese bekannte Formulierung ist Teil des Bundesbuches, das die konkrete Umsetzung der Zehn Gebote für den Alltag der Menschen regelt.

      Kultur des alten Orients

      Das Bundesbuch gehört zu den älteren Texten des Alten Testaments und ist frühestens aus dem achten oder siebten Jahrhundert vor Christus. Den historischen Hintergrund bildet die im Alten Orient weithin übliche Blutrache, die wohl häufig in Selbstjustiz – also ohne ein Rechtsurteil – praktiziert wurde. Ganz im Gegensatz dazu geht es im biblischen Text (Ex 21,24) darum, sich an eine verbindliche und anerkannte Ordnung zu halten. Zentral ist für mich, dass die Gewalt unbedingt begrenzt ist: Es zählt nicht das Motto „Wie du mir, so ich dir!“, es ist eben kein Plädoyer für eine Gewaltspirale, wie dieser Abschnitt immer wieder verzerrt wird. Vielmehr braucht es für erlittenes Unrecht einen Ausgleich und es muss ein angemessener, es darf kein übertriebener Ausgleich sein. Damit steht insbesondere der Schutz von Schwächeren im Mittelpunkt, die sonst oftmals der Willkür von Herrschenden ausgesetzt sind.

      Gelungen ist daher die Wiedergabe dieser Stelle auch in der aktuellen Einheitsübersetzung mit „Auge für Auge, Zahn für Zahn“ (statt „Auge um Auge“), was ein zutreffenderes Verständnis ermöglicht. Es geht dabei nicht um die wörtliche Bedeutung, sondern um die Angemessenheit von Strafe oder Ausgleich bei einem Vergehen. Besonders interessant ist für mich, dass dieser Text – entgegen einer oft anzutreffenden Sichtweise – einen echten Fortschritt in der Rechtsgeschichte anzeigt, weil er die Gleichheit von Täter und Opfer vor dem Gesetz hochhält. Ob es ähnliche Überraschungen auch bei der Erkundung von anderen biblischen „Gewalttexten“ gibt?

      Der Autor Stefan Heining ist Leiter der diözesanen Arbeitsgemeinschaft Bibelpastoral.

      Zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ veröffentlicht das Sonntagsblatt unter dem Titel „Jüdisch – christlich – geschwisterlich“ Artikel in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Bibelpastoral in der Diözese Würzburg. Die Texte beleuchten antijüdische Klischees oder Vorurteile aus biblischer Sicht, um Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Mehr Infos zum Festjahr online unter „2021jlid.de“ und „www.juedisch-beziehungsweise-christlich.de“.