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      Wie verhält es sich mit der Geschlechter-Debatte in der kirchlichen Arbeit? – ein Interview

      In der Vielfalt Gott ähnlich

      Seit biblischen Zeiten schon wird von Geschlechtervielfalt gesprochen – das Thema treibt die Menschen nicht erst in der Gegenwart um, seitdem Debatten zu „männlich/weiblich/divers“ geführt werden. Wie gestaltet sich die Diskussion im kirchlichem Bereich? Im Interview schildern Pastoraltheologin Dr. Ursula Silber, Rektorin des Martinushauses in Aschaffenburg, und Albrecht Garsky, Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung Schweinfurt, ihre Eindrücke und Erfahrungen.

      Wie erleben Sie beide die aktuelle Geschlechter-Debatte in Ihrer Arbeit als Theologen?

      Dr. Ursula Silber: Vor kurzem wurden für eine Arbeitstagung der katholischen Erwachsenenbildung alle Bischöfe in Bayern angefragt, ob sie eine Videogrußbotschaft zum Thema Erwachsenenbildung schicken möchten. Von einigen kam keine Antwort – aber von einem Sekretariat wurde postwendend mitgeteilt, „der hochwürdige Herr Bischof beantworte grundsätzlich keine Anfragen mit Gender-Sternchen im Text“. Das muss man nicht mehr kommentieren. In der Praxis ist die inklusive Schreibweise sehr viel selbstverständlicher geworden, zum Beispiel in Ankündigungen für unsere Veranstaltungen in der Erwachsenenbildung. Wir haben ein ausgewogenes Verhältnis von Referenten und Referentinnen, Bildung ist längst keine Männerdomäne mehr, da herrscht inzwischen eine große Normalität. Selbst Kolleg:innen mit einer Trans-Identität werden gut akzeptiert. In der Theologie – gerade in Bezug auf die Gottesfrage – ist „männlich und weiblich“ schon noch ein Thema. Es wird aber nicht mehr so laut und ausdrücklich thematisiert wie noch Ende der 80er oder 90er, als darum gekämpft wurde, dass man Gott auch mal als „sie“ anredet oder als Mutter bezeichnet. Nur noch sehr wenige Leute lehnen das komplett ab. Ansonsten ist vieles ganz normal geworden. Dennoch: „Gott divers“ ist noch nicht angekommen!

      Albrecht Garsky: Ähnlich erlebe ich es; es wird kaum thematisiert, was ich schade finde. Denn das Gottesbild müsste stets ein Thema sein. Wie stelle ich mir Gott vor? Und in einem zweiten Schritt: Wie kann ich dieses Bild zu Menschen von heute tragen?

      Warum tut sich Kirche dann doch so schwer damit, wenn man sich scheinbar oben und unten einig ist – und trifft sich nicht in der Mitte?

      Silber: Es gibt in dieser Frage keine „Mitte“. Für mich ist es vielmehr eine Entscheidung des Verständnishintergrunds, wie man die Welt sehen will und ob man bereit ist, eine binäre Geschlechterkonstruktion, mit der die Welt in Männer und Frauen eingeteilt wird, aufzugeben. Wenn man eine Ahnung davon bekommt, dass es vielleicht nicht so ist – dass es quasi für Babys nicht nur entweder „himmelblau“ und „rosa“ gibt – dann ist das für viele Menschen sehr beängstigend. Warum das so ist, darüber denke ich noch nach. Es gibt ja abgesehen von „männlich“ und „weiblich“ und allem, was auf diesem Spektrum dazwischen liegt, auch noch andere Unterscheidungsmerkmale, anhand derer man Menschen in verschiedene Gruppen einteilen könnte. Aber nichts ist weltweit so konstitutiv wie diese binäre Geschlechterkonstruktion, die es zumindest in vielen Kulturen gibt, allerdings durchaus nicht in allen! Dazu kommt, dass eine traditionelle Lesart der biblischen Texte genauso diese binäre Geschlechterkonstruktion zu bestätigen und festzuschreiben scheint, wenn zum Beispiel im ersten Schöpfungsgedicht gesagt wird: „Gott schuf den Menschen, männlich und weiblich schuf er sie“ (Gen 1,27). Mit der traditionellen Lese-Brillle wird das so ausgelegt, dass es nur diese beiden Versionen gibt und nichts dazwischen. Doch man kann das auch anders lesen, als Chiffre für das gesamte Spektrum der Vielfalt und des Reichtums von Möglichkeiten, die Gott den Menschen mitgegeben hat. Eine Theologin hat eine schöne Parallele dazu gezogen; im gleichen Bibeltext heißt es ja: „Gott trennt das Land und das Wasser“ (Gen 1,6–8). Aber niemand würde leugnen, das es das Wattenmeer gibt, Sümpfe und andere Zonen, die ein bisschen von beidem sind. Diese Zwischen- oder Übergangsbereiche sind anderswo in der Schöpfungsgeschichte ganz selbstverständlich. Doch beim Menschen denken wir: Es gibt nur entweder das eine oder das andere.

      Garsky: Für mich ist die gleiche Stelle wichtig – wir müssen uns Gott männlich und weiblich vorstellen. Das heißt für mich nicht, das er sowohl alle männlichen als auch alle weiblichen Geschlechtsmerkmale hat. Sondern dass Gott mehr ist, mehr auch als diese Beschreibung in Geschlechtern. Dass wir also all das überwinden und sagen: Was macht den Menschen aus, wenn er Gottes Ebenbild ist? Die Frage ist doch: Können wir uns nicht von der Geschlechterzuschreibung lösen und uns anderen, wichtigen Themen widmen? Sowohl was unser Bild von Gott als auch was unsere Vorstellung vom Menschen angeht.

      Silber: Die grundlegende Einsicht beim Gottesbild: Gott ist kein Super-Mensch mit männlichen, weiblichen oder beiderlei Geschlechtsorganen. Gott ist Gott – und damit eben ganz etwas Anderes als ein Mensch, anders selbst als ein Super-Held. Das ist aber ein großer Schritt im Denken, in der Spiritualität und auch im Glauben. Wir sind so geprägt und brauchen es vielleicht auch, dass wir uns Gott mit persönlichen Zügen vorstellen. Die Bibel spricht davon, dass Gott mit uns redet, dass er uns zuhört, in seine Arme nimmt, dass es ihm „an die Nieren geht“, wenn es uns schlecht geht – all das sind sehr körperliche und menschliche Bilder. Doch alles, was wir von Gott sagen können, muss man zugleich schon wieder in Frage stellen; all das, was stimmt, stimmt zugleich nicht. Wir müssen uns bremsen, damit unser Gottesbild nicht zu fest wird. Das ist eine echte Herausforderung. Was mit Papst Johannes Paul II. in den 80er anfing – er sagte damals: „Gott ist Vater und genauso auch Mutter“ – kann auch dazu führen, dass ein bestimmtes Bild von Mütterlichkeit für Frauen in der Kirche zementiert wird. Wenn man sagt, Gott sei wie eine echte Mutter liebevoll, Gott verzeihe alles und nehme jede:n an, Gott sei großmütig und werde nie müde – was hat das für Konsequenzen für das Bild von realen Frauen? Wenn wir sagen: „Gott ist Vater, aber auch Mutter“, müssen wir auch kritisch darauf schauen, welches Bild wir von Vätern und Müttern haben, und wie das vielleicht so noch einmal verstärkt wird: Heißt „Mütterlichkeit“ wirklich, nie müde zu werden, immer für alles zu sorgen, alles zu verzeihen?

      Garsky: Das sehe ich ähnlich als einer, der in den 90er Jahren zu den 1,7 Prozent Vätern gehörte, die wörtlich „Erziehungsurlaub“ nahmen. Ich habe bemerkt, die Zuschreibung der Mütterlichkeit hängt immer (noch) an der Frau. Das lässt wieder Rückschlüsse auf das Männerbild zu.

      Die Vielfältigkeit von Geschlechterrollen – was sagt die Bibel dazu?

      Silber: Der wichtigste Satz dazu steht für mich im Buch der Weisheit: „Denn Gott liebt alles was er geschaffen hat, Gott ist ein Freund des Lebens.“ (Weish 11,24.26) Neulich ist mir dieser Satz wieder begegnet im Erfahrungsbericht einer Mutter in einem Pfarrbrief. Sie erzählte davon, dass ihre Tochter ihr mit 12 Jahren gesagt hat, dass sie – die Mutter – eigentlich einen Sohn habe. Seitdem müssen sich die Eltern, aber auch das soziale Umfeld und die Gemeinde damit auseinandersetzen, dass aus einem Mädchen ein Junge wird. Für sie als Mutter sei das Grundlegende, sagt sie: Wenn Gott es nicht gewollt hätte, dann hätte er es nicht geschaffen. Wenn wir es mit dem Satz im allerersten Kapitel der Bibel sagen: „Und Gott sah, was er geschaffen hatte und siehe es war sehr gut“ (Gen 1,31), dann beinhaltet das doch auch die gesamte Vielfalt dessen, was „männlich und weiblich“ bedeuten kann.

      Ist es an der Zeit, dass wir damit aufräumen?

      Silber: Mich hat es sehr beschäftigt, dass ein gar nicht so geringer Teil der Neugeborenen nicht eindeutig Mädchen oder Junge sind, zum Beispiel aufgrund von bestimmten genetischen Varianten. Früher ist das in den ersten Tagen nach der Geburt sofort angeglichen worden, weil man dachte, das Kind hat es dann leichter; heute wartet man eher ab, wie sich das Kind entwickelt, auch seelisch und geistig. Ich finde ganz wichtig, dass wir das stärker wahrnehmen und unbefangener damit umgehen.

      Was muss demnach folgen – um „des Menschen willen“?

      Garsky: Für mich steht zunächst an erster Stelle die Wertschätzung. Dass das, so wie es ist, etwas Gutes haben muss. Denn sonst wäre es so nicht. Das ist manchmal schwierig, weil wir alles gerne ändern würden. Wenn zu mir jemand sagt, Gott sei aber der alte Mann mit Bart, dann nehme ich dieses Bild so an, wenn es meinem Gegenüber Sicherheit gibt. Alte Männer mit Bart haben ja nicht von Vorneherein etwas Negatives. Und so gibt auch die Einteilung „Mann/Frau“ erst einmal Sicherheit. Wenn ich mir dessen aber bewusst geworden bin, muss ich überlegen, ob ich die Sicherheit ein wenig aufgeben kann, um ein anderes Bild zuzulassen. Dahin müssen wir kommen und diskutieren lernen. Uns darüber wertschätzend auszutauschen, welches Gottesbild ich habe und welches mein Gegenüber. Miteinander zu sprechen und zu diskutieren ist besser, als Grabesruhe.

      Silber: In unserer Arbeit in der Erwachsenenbildung haben wir beide den Auftrag zu informieren und zu orientieren. Ein verbreitetes Missverständnis, das wir beim Thema „Gender“ oft hören lautet, dass sich ja jede:r frei aussuchen kann, ob er/sie Mann sein will oder Frau – oder was auch immer. Aber darum geht es gar nicht. Mein Körper, so wie er ist, hat etwas damit zu tun, wie ich lebe und wie ich mich in der Gemeinschaft verorte. Deshalb muss ich Verantwortung übernehmen für die Vielfalt, die in mir steckt, für all die Anlagen und Eigenschaften, die mir mitgegeben wurden – und so würde ich das auch mit dem Spektrum an Männlichem und Weiblichem sehen. Ich übernehme Verantwortung dafür, wie ich das in der Familie, in der Pfarrei und anderen sozialen Zusammenhängen einbringe, was ich davon lebe und wie. Und das funktioniert nicht „heute so und morgen anders“, sondern in Verantwortung dem gegenüber, was Gott mir ganz persönlich geschenkt hat. Deswegen geht es nicht um Beliebigkeit, sondern um Wahrnehmen, Akzeptieren und Wertschätzen der vielfältigen Möglichkeiten. Und es bedeutet dann für alle Beteiligten – auch für die „klassischen Männer“ und die „klassischen Frauen“ ein Leben mit mehr Weite und mehr Freiraum, wenn wir das im Denken zulassen.

      Wer sind wir? Was sind wir?

      Silber: Ein Ebenbild Gottes in all dem Reichtum und mit dem, was wir Theolog:innen wohl „Transzendenz“ nennen würden: In uns steckt so viel mehr als man sehen kann!

      Garsky: Wir sind vielfältig und nur so sind wir Gott ähnlich. Und vielleicht in der Summe der Vielfalt Gott ähnlich.

      Interview: Judith Bornemann (Sonntagsblatt)