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      Vor 70 Jahren legten die ersten Brüder von Taizé ihr Lebensgelübde ab

      In der sprechenden Stille

      In Taize gibt man nicht viel auf Jubiläen. Der Gründer der Gemeinschaft, Frère Roger, hat sich sehr intensiv mit dem Abendländischen Mönchtum auseinandergesetzt – und am Ende die Parole ausgegeben: den Blick immer nach vorne richten, nie zurück. Nicht erstarren, nichts besitzen, sondern immer neu zuhören und sich erneuern, um nicht eines Tages vom eigenen Erfolg niedergewalzt zu werden und so seine geistigen Wurzeln zu verlieren.

      Und doch können Jubiläen auch ein Moment des Innehaltens, der Selbstvergewisserung sein. Das kleine Dorf im Süden Burgunds ist seit Jahrzehnten ein Magnet für die Jugend der Welt. Im August 2015 beging die ökumenische Gemeinschaft mit Freunden und Anhängern drei Jahrestage auf einmal: den 75. Jahrestag ihrer Gründung, den 100. Geburtstag ihres Gründers und dessen zehnten Todestag.

      Es war eine imposante Kulisse auf dem Hügel von Taizé. Nicht durch prächtige Gewänder, Weihrauch oder eine ausgeklügelte Liturgie. Es war jene für Taizé so sprechende Stille, die die Betenden ein- und auszuhalten imstande sind: im Gebet für Menschen in Not, für Flüchtlinge, Kranke, Ausgegrenzte und Gestrandete des Alltags. Ungezählte Menschen auf dem Hügel, den Blick auf Christus gerichtet.

      Versöhnung und Barmherzigkeit

      Die Bergpredigt kam einem in den Sinn, mit der Jesus sein öffentliches Wirken begann. Barmherzigkeit forderte er, Sanftmut, Suche nach Gerechtigkeit und Frieden. Auch die Brüdergemeinschaft von Taizé hat sich diesen Zielen verpflichtet: Versöhnung, Barmherzigkeit, Einfachheit, Solidarität. Auf der Ehrentribüne: rund hundert Vertreter von allzu vielen christlichen Konfessionen; Tribut an 2000 Jahre Kirchengeschichte mit all ihren Spaltungen. Sie miteinander zu versöhnen und wieder eine sichtbare Einheit aller Christen entstehen zu lassen, das war das große Anliegen von Frère Roger.

      Am Ostersonntag vor 70 Jahren, am 17. April 1949, haben in der kleinen romanischen Dorfkirche die ersten sieben Brüder ihre Gelübde für ein lebenslanges Engagement in der Gemeinschaft abgelegt. Und 20 Jahre später, am 6. April 1969, wurde erstmals ein Katholik aufgenommen; die erste ökumenische Ordensgemeinschaft der Kirchengeschichte war entstanden. Die drei Jahrzehnte bis zu diesem Punkt gehören wohl zu den spannendsten spirituellen Reisen des 20. Jahrhunderts.

      Im Zweiten Weltkrieg (1939–1945) sucht der junge Schweizer Theologe Roger Schutz einen Ort, um in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben und zugleich Kriegsflüchtlingen helfen zu können. Im Sommer 1940 findet er in der Nähe des einstigen Reformklosters Cluny das verfallene Weindorf Taizé; einen heruntergekommenen, geistlich verwaisten Flecken. Mit geliehenem Geld kauft er eines der Natursteinhäuser im Ort. Hier findet Roger den Ort für seine Leidenschaft: tätige Nächstenliebe im Vertrauen auf Gott. Nur ein paar Kilometer sind es von der Demarkationslinie zwischen dem nazibesetzten Frankreich und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich. Hier versteckt Roger jüdische und politische Durchgangsflüchtlinge, die in die Schweiz wollen. 1941 formuliert er eine erste, stark franziskanisch geprägte Ordnung für ein künftiges gemeinschaftliches Leben in Taizé. Doch der Traum wird von den Realitäten des Krieges eingeholt: 1942 wird Roger denunziert und muss zunächst in die Schweiz zurückkehren. In Genf, der Stadt Calvins, lebt er mit seinen beiden protestantischen Gefährten Max Thurian und Pierre Souvairan in brüderlicher Gemeinschaft zusammen. Von der konservativen reformierten Szene der Stadt durchaus beargwöhnt, pflegen sie bereits die künftige Gastfreundschaft von Taizé und knüpfen wertvolle theologische und ökumenische Kontakte.

      Im Oktober 1944 kehrt Roger mit seinen beiden Gefährten nach Taizé zurück – um für immer zu bleiben. Schon kurz darauf kommt ein vierter Bruder hinzu: Daniel, heute 97 Jahre alt und der letzte noch Lebende dieser Keimzelle der Gründerzeit. Die Zeiten sind hart nach dem Krieg, die Not groß. Pierre fällt im Winter die Akazienbäume vor dem Haus, um daraus Zaunpfähle herzustellen, um überhaupt etwas Geld zu verdienen.

      Den Menschen verpflichtet

      Doch wahrscheinlich ist es genau dieser karge Nährboden, der die Idee von Taizé binnen zwei Jahrzehnten zu einem Welterfolg machen sollte. Mit der Umkehr der politischen Vorzeichen gilt auch Rogers Engagement nun umgekehrt: Jetzt kümmert er sich um deutsche Kriegsgefangene aus der Umgebung und teilt seine kargen Mahlzeiten mit ihnen: dünne Suppe aus Brennnesseln, doch angeboten wie ein Festmahl. Für die Franzosen ein Ärgernis. Einer der Männer, ein schwer kranker Priester, wird von zornigen Kriegswitwen sogar buchstäblich zu Tode geprügelt. Für rund drei Dutzend französische Kriegswaisen mieten die Brüder zwei Häuser im Dorf an. Die Mutterrolle übernimmt Rogers jüngste Schwester Genevieve Schutz-Marsauche (1912– 2007), die ihre Karriere als Pianistin aufgibt, um den Rest ihres Lebens in Taizé zu bleiben. Unverheiratet wird sie Mutter und Großmutter von vielen. Sie liegt heute, nahe ihrem Bruder, in einem einfachen Grab vor der romanischen Kirche des Dorfes bestattet; jener damals lange verlassenen katholischen Kirche, die die protestantischen Brüder so gerne zum Gebet genutzt hätten. Der zuständige Pfarrer der Region gibt zunächst seine Erlaubnis; doch schon bald erhebt der Bischof von Autun Einspruch gegen das „nichtkatholische Tun“.

      1948 kommt die Lösung von unerwarteter Seite: Der Vatikanbotschafter in Frankreich, ein gewisser Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli – der spätere Konzilspapst Johannes XXIII. –, zeigt sich beeindruckt von der Spiritualität der protestantischen Brüder. Er macht die katholische Pfarrkirche zur Simultankirche – und erlaubt ihnen damit die Nutzung zum Gebet.

      Schon in den 40er Jahren gibt es erste Aufenthalte von Jugendlichen auf dem Hügel; viele bleiben ihr Leben lang, so wie Robert Giscard (1923–1993), ein Cousin des späteren Staatspräsidenten Valery Guiscard d'Estaing, Dorfarzt und Musikus der Gemeinschaft. Und über die ersten Jahre ist ein Entschluss in den Männern auf dem Hügel gereift: Am Ostersonntag 1949, dem 17. April, legen die ersten sieben Brüder in der Dorfkirche ihr Gelübde für ein lebenslanges Engagement ab: Roger Schutz, Max Thurian, Pierre Souvairan, Daniel de Montmollin, Robert Giscard, Axel Lochen und Albert Lacour. Weitere folgen bald, darunter Roberts Bruder Alain.

      Gelübde für ein ganzes Leben

      Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam umfasst das Gelübde. Alle Kandidaten kommen aus Kirchen der Reformation; eine Bindung auf Lebenszeit ist ihnen eigentlich fremd. Doch sind sie zusammen einen ungewöhnlichen geistlichen Weg gegangen. Bis heute ist der Ritus des Eintritts noch ähnlich wie damals. Die Frage zu Beginn des Aufnahmeritus lautet: „Geliebter Bruder, wonach verlangst du?“ – „Nach der Barmherzigkeit Gottes und der Gemeinschaft meiner Brüder“, so die Antwort. „Gott vollende in dir, was er begonnen“, betet der Prior – und stellt einige Fragen, auf die der Bewerber erwidert: „Ich will es“. Erst 1953 gibt Frère Roger, der sich so viel mit dem Mönchtum beschäftigt hat, seiner evangelischen Gemeinschaft eine Regel. Sie ist sehr spirituell und ohne jede juristische Fixierung formuliert. Einen „Dritten Orden“ für die immer mehr wachsenden Anhänger des Lebensstils von Taizé in unmittelbarer Nachbarschaft des Hügels lehnt Frère Roger ausdrücklich ab. Engagierte Laienchristen sollen sich in ihren Gemeinden und Ortskirchen einbringen.

      Die 60er Jahre bringen neue Abenteuer und Chancen, neue Aufbrüche – aber auch Entfremdungen und Gefahren für die Gemeinschaft. Die ausdrückliche ökumenische Offenheit und Kontaktfreude von Taizé ruft Kritiker auf den Plan, sowohl vonseiten der calvinistisch-reformierten Orthodoxie wie auch von konservativ-katholischer Seite. Doch die Fraktion der Begeisterten und Förderer überwiegt.

      Auf Einladung von Johannes XXIII. (1958–1963) nehmen Frère Roger und Frère Max als protestantische Beobachter an den Beratungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) teil. Der reformorientierte Papst schätzt den geistlichen und ökumenischen Aufbruch von Taizé außerordentlich, nennt ihn begeistert einen „kleinen Frühling“. Umgekehrt zeigen sich die Vertreter von Taizé durch die Reformen des Konzils in ihrem Kurs bestätigt; man schien am selben Strang zu ziehen. Immer mehr Jugendliche verschiedener politischer und konfessioneller Einstellungen besuchen Taizé. Doch die Rückschläge bleiben nicht aus. Im Zuge der Pariser Mai-Unruhen von 1968 wird Taizé sowohl von reformierter wie von katholischer Seite als vermeintlich unzuverlässig beargwöhnt. Die ordinierten Pfarrer der Gemeinschaft müssen ihre Gemeindetätigkeiten in der Region einstellen. Und ohne Wissen Papst Pauls VI. (1963–1978) werden die Leiter von Taizé im Vatikan vorgeladen. Beide Misstrauensbekundungen vergisst Frère Roger bis zu seinem Lebensende nie. Umso kühner dann der Vorstoß vor genau 50 Jahren, zu Ostern (6. April) 1969. Der junge katholische Arzt Jean-Paul aus Belgien drängt darauf, als Bruder in Taizé aufgenommen zu werden – und er verwirft alle alternativen Modelle, die ihm der ökumenisch umsichtige Frère Roger zunächst anbietet.

      Mit einer aus katholisch-kirchenrechtlicher Sicht eher unbestimmten Erlaubnis des befreundeten Pariser Erzbischofs Francois Marty macht Taizé am Ende den großen Schritt: Der Katholik Jean-Paul tritt am Ostersonntag in die Gemeinschaft von Taizé ein; 1972 legt er als Frère Ghislain die Gelübde ab. Weitere folgen kurz darauf. Aus der evangelischen Brüdergemeinschaft ist die erste ökumenische Ordensgemeinschaft der Kirchengeschichte geworden.     

      Alexander Brüggemann