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Krokusse

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      Im Rausch der Farben

      Der Tau liegt am Morgen auf dem Gras, doch die Farben der Blumen leuchten schon jetzt in grellen Tönen. Ein älteres Paar aus Karlsruhe steckt je einen Fünfer in das Kassenkästchen und schaut sich um.
      Zu sehen gibt es viel auf der Dahlienschau oberhalb von Lindau, unzählig knallig farbige Blüten, die sich dem blauen Spätsommerhimmel entgegenrecken. Die Dahlien geben derzeit alles. Der Sommer habe ihnen gut getan; sie seien langsam gewachsen und darum heuer besonders stabil, sagt einer, der die Pflanzen kennt wie kein anderer: Stefan Seufert. Er hat dieses Refugium geschaffen. Bis zum ersten Frost dürfen Freunde der Dahlien den Anblick noch genießen. Und damit sie das auch im nächsten Jahr wieder können, steckt Seufert all seine Kraft und Energie in dieses Projekt. „Ich möchte den Menschen etwas Schönes bieten, das sie erfreut. Und ich glaube, das gelingt mir hier ganz gut.“    Für ihn selbst wird ein großer Augenblick im Dahlienjahr noch kommen – dann, wenn es den ersten Frost gibt, „und die Blüten überzuckert sind. Das ist ein magischer Moment und kurze Zeit später beginnt dann die Arbeit und der Stress.“ Seufert hat nämlich eine Fläche von 7000 Quadratmetern zu bewirtschaften – alles Handarbeit, wenn die Dahlien ausgegraben, sortiert und eingekellert werden müssen. Und all das in wenigen Tagen, sonst sterben sie beim Frost ab. Eine Pause täte ihm gut. Die kann sich der Profi/Hobbygärtner aber nicht leisten. Tags wie auch nachts hat er seit Juli stundenlang gegossen, um sein Pflanzenparadies vor dem Austrocknen zu bewahren. „Ein wahrer Knochenjob war das“, erinnert sich der Mann mit dem Strohhut und stützt den Kopf in die Hände. „Ich bin um vier Uhr morgens ins Bett. Und um  sieben klingelte der Wecker wieder.“   

      Früh im Jahr geht es los

      Immer ab dem 1. März verhilft er seinem Garten zu neuem Leben – für einen Sommer. Dann beginnen seine Arbeiten und die Vorbereitung der Beete. Mit einem Freund hatte er vor 16 Jahren eine Idee: Ein kleiner Garten sollte aufgehübscht werden. Die Männer pflanzten 57 Dahlien entlang einer Hecke und düngten sie mit viel zu viel Blaukorn. Das Resultat waren sehr hoch geschossene, ansehnliche Dahlien, die das Interesse von Radlern und Wanderern am vorbeiführenden Weg weckten. Dahlien mochte Seufert immer schon, mit dem Gärtnern ist er aufgewachsen. Also hat er zusammen mit einem Freund eine kleine Dahlienschau in der Presse beworben – und die Besucher haben das Gärtchen überrannt. Angespornt durch das immense Interesse vergrößerten sie ihre Schau; dazu musste 2006 ein größeres Grundstück her, Dahlien wurden beschafft. Dann begann Seufert die Pflanzen zu vermehren. Dabei lernte er viel über das besondere Gewächs.
      Der Gärtner versucht sich auch an der Vermehrung durch Samen, um neue Züchtungen zu kreieren, Stecklinge gibt es ebenfalls in hoher Zahl. In jedem Frühjahr gräbt er rund 7000 Dahlienknollen in die Erde. 800 Sorten umfasst sein Sortiment, die kleinste Balldahlie ist so groß wie ein Daumennagel, die größte Dekodahlie hat den Durchmesser eines Kuchentellers.  

      Knochenarbeit pur

      Was Seufert antreibt, ist eine zum Beruf gewordenen Passion. „Es ist die Ruhe hier, die Langsamkeit des Gedeihens. Ich muss mich damit arrangieren, was die Natur vorgibt.“    20 Jahre lang war er in Werbung und Marketing tätig, bis 2015 noch freiberuflich. Die Werbeflut wurde ihm unerträglich. „Jede Woche habe ich rund 70 Stunden gearbeitet und mich nach dem Sinn gefragt.“ Die Entschleunigung in seinem Leben hatte ihren Preis. Jetzt läuft er mit einem Schubkarren und einem kleinen Messer in der Hand durch die langen Reihen und sucht nach verwelkten Dahlienblüten.   Eine recht schweigsame Dame mittleren Alters habe ihm einmal unentgeltlich geholfen, erzählt er. Nach Wochen, in denen sie meistens schweigend mitgearbeitet hatte die Beete zu pflegen, verriet sie ihr Geheimnis. Ihre Therapie gegen die Depression würde sie nun einstellen, sagte sie. Inmitten der Dahlien sei ihr so Einiges klar geworden. Seufert lächelt. Diese hellen Tage, die Farbigkeit seiner Blumen – das sei  seine Kraftquelle für die Sorgen. Er arrangiert sich mit vielem, um seinen Traum inmitten von Obstbaumplantagen und mit Blick auf die Berge leben zu können. Die Sorge um seine private Existenz ist präsent, denn er lebt von seinem Dahlienparadies. In den wenigen Monaten der Saison läuft alles gleichzeitig ab: die Pflege des Gartens, Kundenaquise und die Betreuung der Besucher. Für große Werbung fehlen Geld und Möglichkeiten – denn das Plakatieren ist in Lindau verboten.   Der Lärm des Rasenmähers stört Anwohner, die Tatsache, dass er auf einem landwirtschaftlich zu nutzenden Grund und Boden „nur“ Blumen pflanzt, ärgert die Behörden. Und Stefan Seufert kann mit keiner finanziellen Unterstützung oder Förderung rechnen; dass sein Garten eben auch zahlreiche Besucher in die Stadt und das Umland lockt, scheint da nur ein schwaches Argument zu sein. Und soziale Projekte, die er im Rahmen des Gartens iniitiert hatte, erhielten keine Unterstützung. Seufert musste sie einstellen. So wurde die Dahlie zu seinem Mittelpunkt: Besucher zahlen Eintritt. Sie können blühende Dahlien bereits ­kaufen und im Herbst abholen. Auf einem Feld zieht er Schnittdahlien für umliegende Geschäfte und fahrende Händler groß. Dass er in den vergangenen drei Jahren Hartz IV beantragen musste, daraus macht Stefan Seufert keinen Hehl. Es sei schwer, den Kopf über Wasser zu halten, die nötigen Gewinne in nur wenigen Wochen zu erzielen, die ihm und auch seiner Dahlienschau das Überleben sichern. „Aber ich bin optimistisch. Ich tue hier etwas, das den Menschen Freude bereitet.“
      In Führungen quer durch den Schaugarten erklärt er die Geschichte dieser für ihn außergwöhnlichen Blume, berichtet von seinen Erfahrungen rund um die Pflanzen, verrät Tipps und Tricks. Senioren-, Gartenbau- und Heimatvereine besuchen ihn gern. Launig und heiter gestaltet er solche Termine bei Kaffee und Kuchen, wenn es die Zeit noch zulässt.   

      Etwas bleibt hängen

      Wer das Gästebuch durchstöbert, bemerkt schon bei den ersten Einträgen: Dieser Garten verzaubert die Gäste. Besucher haben Hochachtung vor der Leistung, ein solches Paradies zu erhalten. Und doch ist mancher nicht bereit, die fünf Euro Eintritt zu bezahlen. Anders das Paar aus Karlsruhe. Die zwei nehmen auf einer der vielen Bänke im Garten Platz. „Herrlich! Die Fahrt hierher hat sich wirklich gelohnt.“ Stefan Seufert stellt den Schubkarren ab, Zeit für einen kleinen Plausch ist immer. Auch davon lebe er.    Außerdem helfen ihm seine zwei Neffen. Yannick sammelt das Eintrittsgeld ein und hilft auch sonst überall, besonders in diesem Sommer macht ihm die Arbeit Spaß. Der 14-Jährige findet es cool. „Ich hänge nicht nur zuhause vorm PC, sondern bin an der frischen Luft und kann ein bisschen helfen.“ Sein zwei Jahre älterer Bruder Leon knipst mit einem kleinen Messer flink die verdorrten Blüten aus der Pflanze. Auch der Jugendliche mit Downsnydrom ist gerne bei seinem Onkel. „Ich bin froh, dass die zwei mir in den letzten Wochen so geholfen haben. Ohne sie wäre ich aufgeschmissen gewesen.“   Die Fläche inmitten der Obstplantagen war 2006 zu pachten, Seufert griff zu. Hätte er damals gewusst, dass es steinig wird – er lacht hell auf – „ich hätte es trotzdem gemacht.“ Laut Gesetz darf er nur 2,75 Stunden Lärm pro Tag machen. Alle zwei Wochen muss er mit seinem Rasenmäher aber etwa acht Stunden lang mähen, um seine Grünflächen zu pflegen. Ein Aufsitzrasenmäher ist zu teuer. Dass der Krach die Nachbarn verärgert, weiß er und das tue ihm leid. „Es muss aber leider sein, was soll ich tun?“ Aus einem nahegelegenen Altenheim kämen oft Senioren in den Schaugarten. Sie bekommen eine Gratis-Dauerkarte vom Chef.    Manchmal sei sein Dahliengarten Segen und Fluch zugleich. Stefan Seufert lacht hell auf: „Richtig reich könnte ich mit einer neuen Dahlie werden. Eine blaue, die duftet und winterhart ist.“ Amüsiert schaut er einer Besucherin zu, die an einer abgeschnittene Blüte aus seinem Schubkarren schnuppert. Seufert verdreht die Augen. Das Karlsruher Ehepaar kommt zu ihm. „Es ist wunderbar, machen sie weiter so!“ „Klar – was soll ich auch sonst tun? Aufgeben ist für mich keine Option.“   Judith Bornemann   Infos im Internet „www.dahlienschau-lindau.de“. Die Dahlienschau hat bis ­Ende Oktober geöffnet.