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      Gespräch mit Jutta Allmendinger über erste Erfahrungen als Mitglied der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften

      „Ich darf da ein Stachel sein“

      Die deutsche Soziologin Jutta Allmendinger ist neu in die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften eingeführt worden. Im Interview erzählt sie, wie Papst Franziskus sie fasziniert hat, was sie im Vatikan mit ihren modernen Positionen bewirken will – und warum die Kirche auch in Zukunft für unsere Gesellschaft wichtig sein wird.

      Wie haben Sie Ihre Einführung in die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften erlebt?

      Mit großem Erstaunen, denn es war meine erste Sitzung, und ich war von dem Rahmen, in dem alles stattfand, sehr beeindruckt: das großartige Gebäude, in dem wir getagt haben; der Spirit der Beschäftigten der Akademie mit ihrer spürbar hohen Motivation; die herausragenden wissenschaftlichen Gäste, die man zur Sitzung eingeladen hat, wie etwa Mariana Falconier von der University of Maryland und Robert Putnam …

      … den renommierten Soziologen aus den USA …

      … den ich noch aus meiner Zeit in Harvard kenne. Ich muss sagen: Das Miteinander der Expertinnen und Experten aus ganz unterschiedlichen Kulturen, das hat mich fast berührt. Nur eines habe ich am Ende bedauert.

      Was denn?

      Dass die berufenen Mitglieder der Akademie alle erst am Ende Zeit bekamen, sich vorzustellen. Jedes Mitglied erzählte fünf, sechs Minuten lang aus seinem Leben. Das waren wichtige Einblicke, die ich gerne am Anfang gehabt hätte. Denn sie bringen die Menschen eines solchen Gremiums einander näher. Außerdem hatte ich viele Nachfragen – da war die Sitzung aber leider schon vorbei.

      Sie haben mit den Mitgliedern der Akademie eine Privataudienz bei Papst Franziskus gehabt. Wie haben Sie ihn wahrgenommen?

      Anders als erwartet. Ich dachte, dass es dem Papst gesundheitlich schlecht gehen würde. Dem war nicht so. Als er den Saal betrat, waren natürlich die Probleme mit dem rechten Knie nicht zu übersehen. Ansonsten wirkte der Papst aber bei sehr guter Verfassung. Er war außerordentlich interessiert und hat eine enorm schnelle Auffassungsgabe. In seinem Vortrag hat er außerdem ein erstaunlich offenes Familienbild anklingen lassen. Darüber würde ich gerne mehr erfahren. Nichts hätte ich mir mehr gewünscht, als mit ihm ein paar Minuten reden zu dürfen und mich über einige Punkte auszutauschen. Das ist aber wohl bei solchen kurzen Treffen gar nicht möglich.

      Worüber würden Sie denn gerne mehr erfahren?

      Der Papst hatte einen wachen, interessierten und unfestgelegten Geist. Das macht Lust auf einen Austausch. Die Begegnung mit ihm war besonders: wie er mir die Kette als neues Akademie-Mitglied umlegte, wir uns dann in die Augen blickten und er seine Hand auf die meine legte. Ich empfand in diesem Moment auch eine intellektuelle Verbindung.

      Sie haben dann drei Tage lang mit der Akademie getagt. Wie kann ich mir diese Tage vorstellen?

      Die berufenen Mitglieder der Akademie können Themen vorschlagen. Diese Themen werden dann von der Geschäftsstelle gebündelt, sortiert und kuratiert.

      Was heißt das?

      Das heißt, dass die Geschäftsstelle nach der Auswahl eines Themas prüft, wer aus der Akademie dazu beitragen kann und welche externen Vortragenden man einladen könnte. In unserem Fall war das wie gesagt unter anderem der US-Soziologe Robert Putnam. Das Programm sah Vorträge und Diskussionen vor, die mit jeweils 20 Minuten ungefähr gleich gewichtet waren.

      Das klingt nach einem streng durchgetakteten Zeitplan.

      War es auch. Es wurde sehr genau auf die Zeit geachtet. Ich werde mich dafür einsetzen, dass für die nächste Sitzung noch längere Pufferzeiten eingeplant werden. Dann können die Mitglieder der Akademie bei Interesse und Bedarf einzelne Diskurse vertiefen. Der Ablauf war zwar super organisiert, wir konnten Fragen stellen und diskutieren. Aber die Zeit dafür war eben sehr begrenzt.

      Und das fanden Sie schade?

      Ja, ich hätte mir doch eine intensivere Diskussion gewünscht. Und ich habe bei diesem Treffen im Vatikan erlebt, was ich in der Wissenschaft schon oft erlebt habe: Die Diskussionen machen die Musik. Wenn wir ihnen mehr Raum und Zeit geben, dann wäre das also sehr hilfreich. Wir würden so über den reinen Austausch unterschiedlicher Meinungen hinwegkommen. Dadurch könnte etwas wirklich Neues entstehen.

      Was haben die Diskussionen dieser drei Tage bei Ihnen bewegt?

      Sie haben meinen Kopf geöffnet. Ich bin ja eine Wissenschaftlerin, die sehr stark empirisch arbeitet. In der Akademie hingegen wird oft rein normativ argumentiert, aus der Kirchengeschichte heraus, aber die Argumente werden oft gar nicht empirisch überprüft. Das war für mich neu.

      Können Sie das bitte an einem Beispiel erläutern?

      Wir haben zum Beispiel über In-vitro-Fertilisationen gesprochen …

      … also über künstliche Befruchtungen, denen die Kirche sehr skeptisch gegenübersteht.

      Richtig. Da wurde gesagt, dass sie zu großen Veränderungen im Bild vom Kind, von Eltern und von Mutterschaft führen. Es war für mich hochgradig interessant, wie man das auf einer philosophischen und kirchengeschichtlichen Basis beleuchtet hat.

      Welche Perspektive haben Sie eingebracht?

      Ich habe gesagt, dass man sich auch fragen sollte: Geht es diesen Kindern schlechter? Sind sie unzufriedener? Oder sogar zufriedener?

      Und?

      Es gibt große Studien, die zeigen, dass Kinder grundsätzlich profitieren, wenn eine Familie eine gewisse Kontinuität hat. Das ist entscheidend. Und dann besteht gar kein Unterschied zwischen heterosexuellen oder homosexuellen Ehen – und auch nicht zwischen Schwangerschaften, die auf natürlichem Wege zustande gekommen sind, und In-vitro-Fertilisationen.

      Wie ist Ihre Einlassung aufgenommen worden?

      Ich habe damit Reibungspunkte erzeugt. Aber ich finde: Eine solche Reibung, eine kontroverse Diskussion kann uns weiterbringen.

      Sie vertreten ein sehr modernes Frauen- und Familienbild, das sich stark von dem der katholischen Kirche unterscheidet. Was glauben Sie, im Vatikan bewegen zu können?

      Was ich sehr positiv fand, war: Man hat meine Wortmeldungen nie irgendwie abgebrochen. Man hat sie nie als eine nicht statthafte Intervention dargestellt. Ich habe relativ viel sprechen dürfen. Und allein meine Berufung ist doch schon ein Signal.

      Inwiefern?

      Ich bin nicht katholisch. Es ist von mir bekannt, welche Positionen ich vertrete. Und die Mitglieder der Akademie, die werden schon sehr sorgfältig ausgewählt, wie ich jetzt erfahren habe. Allein das nimmt mich für diese Akademie ein: dass man dort nicht, wie man das sonst vielerorts heute so gut kennt, gleich durch gleich ersetzt und sich so immer wieder reproduziert; sondern dass man auch eine Wissenschaftlerin wie mich beruft. Ich darf da ein Stachel sein. Das finde ich toll.

      Was ist Ihr Ziel in der Päpstlichen Akademie?

      Ich habe mich ja dort nicht beworben. Ich bin berufen worden. Diese Berufung nehme ich als Auftrag für mich, meinen Ansätzen treu zu bleiben. Ich werde sie immer wieder formulieren – auch wenn ich den Eindruck habe, dass sie nicht ins Bild der katholischen Kirche passen. Das ist der Anspruch, den ich an mich selbst habe. Und diesem Anspruch bin ich, auch wenn es hier und da anstrengend war, bisher gefolgt.

      Sie können in Ihrer Rolle als Stachel, wie Sie es genannt haben, also etwas bewirken?

      Das weiß ich noch nicht. Natürlich muss man sich jetzt die Frage stellen: Ist der Umgang mit abweichenden Positionen nur ein Ausdruck von Höflichkeit gewesen? Oder führen sie zu einem gewissen Umdenken? Haben also Interventionen, die ja nicht nur von mir gekommen sind, dazu beigetragen, dass man sich im Vatikan bestimmten Fragestellungen doch noch mal in einer offenen Weise nähert und gegebenenfalls sein eigenes Bild revidiert?

      Wie geht’s in der Akademie jetzt weiter, mit diesen offenen Fragen?

      Wir haben alle zwei Jahre Plenarsitzungen, die nächste ist also im Jahr 2024. Und bis dahin gibt es thematisch engere, digitale Treffen.

      Auf welche Veränderungen in der Kirche wollen Sie in der Akademie noch hinarbeiten?

      Ich würde mir beispielsweise wünschen, dass die Kirche mehr für das soziale Vertrauen in der Gesellschaft tut. Ich finde es wichtig zu fragen: Was kann die Kirche tun, um Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen Kreisen zusammenzubringen? Wie kann sie sich dazu öffnen? Was muss sie dafür anbieten? Zu solchen Detailfragen sind wir bei unserem Treffen jetzt aus zeitlichen Gründen gar nicht gekommen. Aber ich finde es schon interessant, dass viele Mitglieder der Akademie, auch Jeffrey Sachs ...

      ... der renommierte US-Ökonom ...

      ... dazu das sagen, was ich auch sage: Die Kirche hat eine ganz zentrale Herausforderung, die sie meistern muss und auch meistern kann. So würde sie dem Anstieg der Kirchenaustritte entgegenwirken und ihrem gesellschaftlichen Auftrag, den sie neben ihrem kirchlichen Auftrag meines Erachtens ja auch hat, nachkommen.

      Warum wäre es so wichtig, dass die Kirche Menschen aus verschiedenen Milieus stärker zusammenbringt?

      In unseren Studien haben wir festgestellt, dass Familien oft ein kleines Wir bilden, eine Parzelle, die von Familien aus anderen kulturellen oder ökonomischen Kreisen abgetrennt ist. Wenn jeder nur für sich bleibt, sind aber moderne demokratische Gesellschaften gar nicht denkbar. Sie brauchen ein soziales Miteinander. Dieses zu bewahren und zu fördern, ist in meinen Augen auch ein Auftrag für die Kirche.

      Was könnte die Kirche konkret tun?

      Die Kirche kann Orte der Begegnung schaffen für Menschen, die sich sonst nicht treffen würden. Dafür müssen die Leute auch gar nicht in die Kirche kommen, sondern die Kirche muss vielmehr rausgehen und helfen, unterschiedliche Leute zusammenzubringen. Wir brauchen eine Verschränkung von Gutsituierten und weniger Gutsituierten, von Gläubigen verschiedener Kulturen, verschiedener Konfessionen und auch von Gläubigen und Nichtgläubigen. Die Kirche kann hier helfen, so etwas wie gegenseitiges Vertrauen zwischen diesen Gruppen zu erarbeiten. Gegenseitiges Vertrauen kommt immer nur durch persönliche Begegnungen zustande. Und da kann die Kirche sehr viel mehr tun, als sie im Moment tut. Das ist das eine.

      Und das andere?

      Die Kirche sollte sich so aufstellen, dass man ihr wieder mehr vertrauen kann – etwa beim Umgang mit Missbrauchsfällen, mit der Stellung von Frauen oder beim Umgang mit Geld. Das sind wichtige Themen, sie sind lange bekannt, aber ich glaube, neben dem Erkenntnisfortschritt gibt es da noch enorm viel Handlungs- und Veränderungspotenzial in der Kirche. Wenn die Kirche sich verändern würde, wäre das zum Wohle von uns allen, zum Wohle auch unserer Demokratie. Das ist meine feste Überzeugung.

      Sehen Sie denn die Perspektive, dass die Kirche sich so verändert, dass die Menschen ihr wieder mehr vertrauen? Viele Menschen innerhalb der Kirche sind da skeptisch.

      Wenn die Skepsis dazu führt, dass man mehr tut, dann bin ich optimistisch. Wenn die Skepsis dazu führt, dass man in eine Vogel-Strauß-Politik verfällt, dann braucht man es gar nicht zu versuchen.

      Was sind für Sie die wichtigsten Punkte, die sich in der Kirche verändern müssten?

      Die Kirche muss sich Allianzen suchen. Dafür ist die Akademie ein gelungenes Beispiel – ohne dass ich mich damit jetzt überhöhen will. Es ist gut, dass die Kirche sagt: Wir verbinden uns mit kompetenten Expertinnen und Experten, auf die gehört wird und denen Vertrauen geschenkt wird. Mit denen sprechen wir. Die helfen uns dann auch, in ihre Kreise zu kommen. Zudem glaube ich, dass sich die Kirche zu gesellschaftspolitischen Fragen noch klarer positionieren muss als bisher.

      Welche zum Beispiel?

      Ich fand, dass sie bei der Corona-Impfkampagne sehr zurückhaltend gewesen ist. Sie hätte viel mehr tun können, um Vertrauen in die Impfstoffe zu wecken. Oder jetzt beim Krieg in der Ukraine: Da ist es wichtig, dass die Kirche ganz klar und dezidiert von einem Verbrechen an der Menschheit redet. Diese Klarheit braucht die Kirche, um Vertrauen zurückzugewinnen.

      Sie sind evangelisch. Hilft Ihnen das, mit etwas mehr Distanz auf das zu schauen, was sich in der katholischen Kirche ändern müsste?

      Ich weiß gar nicht, ob es das Protestantische ist, das mir hilft. Ich glaube, was mir am meisten hilft, ist, dass ich doch eine sehr gut ausgebildete Wissenschaftlerin bin, die viele Kontakte hat und viele, viele Daten. Und dass ich relativ gut weiß, wie Gesellschaften ticken und was sie brauchen.

      Interview: Andreas Lesch, KBO

      Jutta Allmendinger (65) ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität Berlin. Im Fokus ihrer Arbeit stehen Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch in der Familie. Die Soziologin ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden und wirkt in vielen Beiräten im In- und Ausland, neuerdings in der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften.