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      Diözesanreferent Alexander Sitter über brasilianische Politik und ihre Opfer

      Hilflos in der Pandemie

      Zwei Millionen Corona-Infizierte und über 80000 Verstorbene zählte Brasilien im Juli dieses Jahres. Kaum ein Land der Erde wird so von der Corona-Pandemie heimgesucht wie der „grüne Riese“ am Amazonas. Das hat auch Folgen für die Bevölkerung im Würzburger Partnerbistum Óbidos. Dazu äußert sich Alexander Sitter (im Bild), Referent der Diözesanstelle Weltkirche.

      Herr Sitter, warum wird Brasilien so stark vom Virus geplagt wie kaum ein anderes Land?

      Soweit ich es in den Medien verfolge, verharmlost Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und die Clique um ihn herum das Virus bis heute. Seitens des Präsidenten werden keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen. Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta, der mit einem strikten Kampf gegen die Seuche auf dem richtigen Weg war, wurde entlassen. Ich weiß nicht, was dahintersteckt. Eine böse Vermutung ist, dass Bolsonaros Clique bewusst Menschen sterben lassen will. Viele Corona-Opfer leben in den Indigenengebieten oder auf dem Land. Bolsonaros soziale Schicht kann sich jeden Krankenhausaufenthalt leisten. Für wohlsituierte Menschen ist das brasilianische Gesundheitssystem so gut wie bei uns. Aber Menschen aus den Armenvierteln oder ländlichen Gegenden haben keinen Zugang. Ich unterstelle, dass hier bewusst Selektion betrieben wird.

      Die Sterblichkeit in den Indigenengebieten scheint tatsächlich besonders hoch zu sein. Warum?

      Man sollte unterscheiden: Es gibt Indigene, die abgeschieden von besiedelten Gebieten im Regenwald leben, und es gibt Landbewohner mit indigenen Wurzeln, die Kontakte nach außen pflegen. Die Indigenen im Regenwald verlassen sich bei Krankheiten auf ihre Heiler und die Naturmedizin. Sie lehnen medizinische Apparate ab. Wenn das Coronavirus durch Holzfäller, Goldsucher oder Soldaten in ihre Stammesgebiete getragen wird, stehen sie der Pandemie hilflos gegenüber und sterben.

      Die Landbewohner haben in ihren Dörfern Gesundheitsposten, bei denen sie Schmerzmittel oder Antibiotika bekommen. Eine Gesundheitsversorgung, mit denen sich diese Menschen gegen eine Pandemie wappnen könnten, gibt es auch hier nicht.

      Wie hat sich das Leben der Brasilianer durch die Pandemie verändert?

      Die finanzstarken Mitglieder der Gesellschaft bleiben in ihren Apartments und bekommen Lebensmittel geliefert. Menschen ohne geregeltes Einkommen müssen irgendwie arbeiten, sie würden keinen Lockdown überstehen. Viele werden durch Kirche, Caritas und andere Träger mit Nahrungsmitteln versorgt. Aber die Menschen sind dennoch gezwungen, etwas zu verkaufen, um Geld zu verdienen. Bei ihnen geht es um die Existenz: Ich kann nicht daheim bleiben, weil ich verhungern und verdursten würde. Das ist ein weiterer Grund für die ungebremste Ausbreitung des Virus in Brasilien.

      Die Zerstörung des Regenwaldes scheint aber weiterzugehen ...

      Die Zerstörung geht unvermindert weiter. In der Corona-Zeit hat sie sich sogar verstärkt, weil der Blick der Öffentlichkeit auf der Pandemie lag, und die Regierung sozusagen auf der Hinterbühne agieren konnte. Ein Bestandteil von Bolsonaros Politik ist es, einen rechtsfreien Raum zu schaffen. Das heißt: Er kündigt ein Gesetz an, tut aber nichts Effektives, dass das Gesetz auch eingehalten wird. Wer gegen das Gesetz verstößt, hat nichts zu befürchten. Bolsonaro schafft ein Klima der Rechtsfreiheit. Erst kürzlich gab es wieder Medienberichte darüber, dass engagierte Umweltschützer im Behördenapparat versetzt wurden. Brasiliens Regierung wünscht keinen Schutz des Regenwaldes.

      Nützen internationale Appelle überhaupt irgendetwas?

      Ich glaube, Appelle sind wichtig, damit sich der Präsident kontrolliert fühlt und nicht ganz ausrastet. Er sollte merken, dass jemand auf sein Handeln schaut und dass es Folgen haben könnte. Die Folgen, die seine Regierung treffen, sind bis jetzt zu gering. Bisher beschränkt sich die Regierung auf Alibimaßnahmen. Etwa indem sie 3000 Soldaten ins Amazonas­gebiet schickt und per Dekret für vier Monate Brandrodungen untersagt, aber zugleich Beamte, die sich für den Schutz der Gebiete stark machen, versetzt.

      Warum ist es in unserer vernetzten Welt nicht möglich, wirksam Einfluss auf das brasilianische Regierungshandeln zu nehmen?

      Diese Vernetzung ist leider Segen und Fluch zugleich. Das hat Papst Franziskus wiederholt angesprochen. Würden wir den Brasilianern ihr Soja nicht mehr abnehmen, würden bei uns die Schweine verhungern. Solche Abhängigkeitsverhältnisse sind nicht einfach aufzulösen. Der globale Welthandel zwingt uns, auch solche Spiele mitzuspielen, die uns überhaupt nicht passen. Deswegen wäre es dringend angesagt, diese Zusammenhänge zu überdenken und zu ändern.

      Wie ist die Situation derzeit im Würzburger Partnerbistum Óbidos?

      Óbidos ist sehr ländlich strukturiert. Die Menschen sind darauf angewiesen, dass sie ihren Geschäften nachgehen können. Ob sie nun landwirtschaftliche Produkte verkaufen oder ihr eigenes Lädchen betreiben. Die von der Regionalregierung verhängten Ausgangsbeschränkungen erlauben ihnen nicht, ihren Broterwerb fortzusetzen. Vom Bischof von Óbidos, Bernardo Johannes Bahlmann, weiß ich, dass es Überlegungen gab, Ausgangsbeschränkungen vorzeitig aufzuheben.

      Der Bischof hat sich dagegen ausgesprochen, zumal er die europäischen Erfolge infolge der Ausgangsbeschränkungen kennt.

      Die Diözese Óbidos sorgt mit Lebensmittelpaketen für Menschen, die überhaupt keine Alternative haben, zum Beispiel Tagelöhner. Solche Hilfsmaßnahmen sind möglich dank Spenden aus dem Bistum Würzburg und durch Mittel von Caritas Brasilien und Caritas internationalis. Aber die Menschen können mit Lebensmittelpaketen die Kosten etwa ihres Stromanschlusses oder Handyvertrags nicht bezahlen. Das heißt, es werden Wege gesucht, Geld zu verdienen, um nicht in die Totalisolierung zu fallen.

      Wie hat sich die Diözese Óbidos neben den Hilfsmaßnahmen auf die Pandemie eingestellt?

      Die Diözese investiert in Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen und in die Ausstattung kirchlicher Krankenhäuser. Papst Franziskus hat kürzlich Beatmungsgeräte gesponsert. Außerdem werden die Menschen laufend angehalten, vorsichtig zu sein, ihre Hände zu waschen und im Alltag Abstand zu halten. Bischof Bahlmann hält virtuelle Gottesdienste und Pfarreien verzichten auf Feiern. An Fronleichnam wurde das Allerheiligste mit einem Auto durch die Straßen von Óbidos gefahren, um die Prozession zu ersetzen. Für das Erzeugen eines Risikobewusstseins ist die Kirche sehr wichtig.  

       Interview: Ulrich Bausewein