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      Europäische Kulturhauptstadt verbindet Tradition mit Moderne

      Graz darf alles

      Europäische Kulturhauptstadt verbindet Tradition mit Moderne
      Das ist ein langweiliges Nest, zum Gähnen eingerichtet.“ Der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809 bis 1847) müsste seine Kritik zurücknehmen, wenn er dieser Tage nach Graz käme. Von Langeweile kann in der steirischen Landeshauptstadt mit ihren 250000 Einwohnern keine Rede sein. Überall sind Kunstschaffende am Werk. Denn ein Jahr lang darf sich die Renaissance-Stadt mit dem Titel „Kulturhauptstadt Europas 2003“ schmücken.
       
      103 Projekte stehen auf dem Programm: Ausstellungen, Theaterstücke, Tagungen sowie die für Herbst geplante Eröffnung des in Form einer blauen Blase konzipierten Kunsthauses von den Architekten Peter Cook und Colin Fournier.
      Getreu dem Motto „Graz darf alles“ soll die Tradition mit der Moderne verbunden werden. So manches Kunstwerk im öffentlichen Raum sorgte schon für Aufregung. Mitten in der Mur entfaltete der New Yorker Stararchitekt Vito Acconci für fünf Millionen Euro eine künstliche Insel aus Stahl und Glas. Für traditionsbewusste Grazer Geldverschwendung. Schließlich gibt es genügend Theater, Konzertsäle sowie ein Opernhaus in der Stadt. Was braucht es noch eine schwimmende Bühne für Theater, Musik und Tanzaufführungen?
      Wie eine Muschel
      Von beiden Ufern ist das muschelartige Gebilde zu begehen, das 250 Menschen Platz bietet. Seit der Einweihung im Januar werden aber Stimmen laut, die Insel über 2003 hinaus weiter zu belassen. Der Verantwortliche hinter all den Kunst-Aktivitäten ist der 1944 in Klagenfurt geborene Intendant Wolfgang Lorenz, dem die Stadt für das Großereignis die verlangte Freiheit gewährt. Gelernt hat er sein Handwerk beim ORF. „Populär sein, aber auch nicht populistisch“, lautet sein Credo. Keine Event-Kultur will er bieten, sondern zeigen, „dass Kunst und Kultur ein Lebens- und Überlebensmittel aufgeklärter demokratischer Gesellschaften sind.“ 57 Millionen Euro hat Lorenz von EU, Bund, Land Steiermark und der Stadt Graz erhalten.
      Mit „Graz 2003“, dessen Logo drei Nullen und eine Drei zeigt, hat eine neue Zeitrechnung für die Kultur der Stadt begonnen. Dabei wäre es so angenehm, sich nur der großen Vergangenheit hinzugeben. Die Stadt im Südosten Österreichs war als Habsburger Residenz Zentrum des römisch-deutschen Kaiserreichs. 1585 wurde die Universität gegründet, an der auch der Astronom Johannes Kepler lehrte. Der Abwehr der Osmanen verdankt Graz die größte historische Waffensammlung der Welt. Die Dirigenten Karl Böhm und Nikolaus Harnoncourt wurden hier geboren, und auch der für seine Wiener Operettenseligkeit bekannte Robert Stolz.
      „Pensionopolis“
      „Man muss hingehen, wo Menschen leben, die noch keine Leut’ sind“, meinte der Dichter Johann Nestroy (1801 bis 1862) und kaufte sich ein Haus in Graz. Damit folgte er dem Vorbild vieler seiner Landsleute, die sich als Ruheständler in der von Obst- und Weinland umgebenen Stadt ansiedelten und ihr zur k.u.k-Zeit den spöttischen Namen „Pensionopolis“ einbrachten. Wer durch die alten Gassen läuft, erlebt den Hauch der Geschichte im dichten Nebeneinander von Bauwerken aus allen kunsthistorischen Epochen – von der Romanik über die Gotik, Renaissance, Barock bis zum Jugendstil. Die Einmaligkeit des geschlossenen Ensembles erkannte 1999 die Unesco und erhob die Altstadt zum Weltkulturerbe.
      Hoch über allem ragt auf dem Schlossberg das Wahrzeichen der Stadt: der 1560 errichtete Uhrenturm. Seine Ziffernblätter von 1712 sind etwas Besonderes wie Verwirrendes. Nicht der kleine Zeiger, der erst später ergänzt wurde, zeigt die Stunden an, sondern der große. All die Jahre hat der Turm überdauert. Den Bürgern gelang es sogar, ihn von Napoleon freizukaufen und damit vor der Zerstörung zu retten. Der Künstler Markus Wilfling verpasste ihm im Kulturjahr einen dunklen, dreidimensionalen Schatten. Denn Graz haftet nicht nur eine strahlende Vergangenheit an. Mit Begeisterung hatten die Bürger 1938 den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland gefeiert und sich den zweifelhaften Titel von der „Stadt der Volkserhebung“ verdient. Damals marschierten NS-Truppen über die Murbrücke in die Herrengasse und ließen sich von den Grazern feiern. Der Zug führte zum Eisernen Tor, wo die Bewohner Jahrhunderte früher zum Dank für die siegreiche Abwehr der Türken eine Mariensäule errichtet hatten. Sie musste aus dramaturgischen Gründen unter der Dekoration eines Obelisken verschwinden. Als 50 Jahre später der deutsche Künstler Hans Haacke diesen Einzug provozierend nachstellte und die Muttergottes erneut unter einer „Siegessäule“ verschwinden ließ, wurde die Figur Opfer eines rechtsextremistischen Brandanschlags und musste neu gegossen werden.
      Auf Augenhöhe
      Im Kulturjahr erhitzen sich abermals die Gemüter an Maria, weil der Künstler Richard Kriesche neben der Säule einen gläsernen, 18 Meter hohen Lift aufstellen ließ. Einen Euro kostet die Fahrt mit dem Aufzug nach oben, um dann eine Minute direkt gegenüber der Muttergottes zu verharren. Ganz allein steht ihr der Fahrgast gegenüber, der die Aussicht genießen oder die Ruhezeit zur Besinnung nutzen kann. „Muss es denn unbedingt auf Augenhöhe sein“, stellte ein konservativer Politiker Kriesche im Stadtsenat zur Rede. „Mit dem Lift könnten die religiösen Gefühle von Gläubigen verletzt werden.“ Der Katholik Kriesche hätte nie gedacht, dass sich die Volksseele wochenlang in Zeitungen und im Internet über sein Kunstwerk mit dem Titel „Perspektivenwechsel“ so erhitzen könnte. Dabei wollte er den Grazern nur die Möglichkeit bieten, einmal nicht zu den „Spitzen der Gesellschaft“ nach oben zu schauen, sondern gleichberechtigt mit ihnen zu sein. Der Künstler aber kennt seine Landsleute. „Graz hat über Jahre in Kleinkariertheit geruht.“ Mit der Wahl zur europäischen Kulturhauptstadt komme der Druck von außen, und mit Lorenz sei es gelungen, wirklich europäische Standards zu setzen.
      Dafür sorgt auch einer wie der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell. Für Graz hat er das mehrsprachige Theaterstück „Butterfly Blues“ geschrieben und drei Schauspielerinnen aus seiner zweiten Heimat, dem afrikanischen Mosambik, mitgebracht. Erzählt wird die Geschichte von zwei illegalen Immigrantinnen, die unter großen Vorurteilen der Bevölkerung leiden. Schnell ist von Kriminellen und Drogendealern die Rede. Die Realität holt hier die Bühne ein. Es sind dieselben Vorwürfe, mit denen sich die rund 1700 in Graz lebenden Afrikaner konfrontiert sehen und mit denen im Wahlkampf rechte Parteien Stimmung machten. Mankell will mit seinem Stück nicht Österreich angreifen. Er kritisiert die Ausländer- und Asylpolitik Europas, das für ihn erst durch die Zuwanderung das geworden ist, was es ist: „Lebendig und mit einer Menge von Impulsen von überall.“
      Kunst und Kultur
      Die Kunst hält also Graz in Sachen Menschenrechte den Spiegel vor. Das liegt daran, dass eine Nichtregierungsorganisation Ende 2000 Graz zur ersten „Menschenrechtsstadt Europas“ erhoben hatte – weil sich dort auch das „Europäische Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie“ befindet. Diese Institution organisiert auch über das Jahr Rundgänge, Ausstellungen und Workshops zu den Themen Freiheit der Kunst, Umgang mit Migranten oder dem Dialog der Kulturen.
      Auch die Kirchen haben ein Programm auf die Beine gestellt, für das sie gemeinsam werben. Am 22. Mai steht die Uraufführung von „In principio“ an. Im Auftrag der Diözese Graz-Seckau hat der Komponist Arvo Pärts den Prolog zum Johannesevangelium vertont. Eigens erstellt wurde ein Führer für die Kirchen und die neu erbaute Synagoge. Von April bis Juni erwartet den Besucher die Ausstellung „Himmelschwer“, die alte und neue religiöse Kunst – unter anderem aus den vatikanischen Museen – zu einem spannungsreichen Dialog versammelt.
      Dass Kunst nicht brotlos sein muss, beweisen die Grazer Bäcker. Landesinnungsmeister Robert Schnuderl hatte die Idee zu einem Roggenmischbrot mit einheimischen Gewürzen, das nun als „Steirischer Mond“ angepriesen wird – wegen der Sichel aus Mehlstaub. Schon die bekannte Grazer Fotografin Inge Morath wusste: „Auf den ersten Blick erscheint mir die Stadt nicht sehr geheimnisvoll, aber man kann aus allem etwas machen.“
       
      Näheres über das Kultur-Programm bei O3 Info, Mariahilferplatz 2, A 8020 Graz, Tel. 00 43/ 3 16/20 03 sowie im Internet unter „www.graz03.at“ oder „www.graztourismus.at“.