Das belegt eine Studie der Universitäten Leipzig, Jena und Zittau/Görlitz. In vielen Bereichen sind Westdeutsche auf den Führungsebenen überproportional vertreten – in Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Medien, Justiz und Militär. Am drastischsten fällt das bei der Bundeswehr auf. Alle Generäle kommen aus dem Westen der Republik. Die Vollendung der Einheit ist noch nicht gelungen – auch bei den Eliten nicht.
Das Thema ist von politischer Brisanz. Denn in Ostdeutschland sind Gefühle des Zurückgesetztseins verbreitet. Wenn auch nicht allein wegen der Präsenz westdeutscher Führungskräfte. Eine Reihe anderer Gründe kommt hinzu: historische Brüche in den Biografien, enttäuschte Zukunftshoffnungen, höhere Verarmungsrisiken sowie die Abwanderung vieler Einheimischer. Doch der erschwerte Zugang zu gesellschaftlichen Spitzenpositionen ist ein weiterer Faktor, der Gefühle des Zurückgesetztseins nähren kann.
Forscher stellen fest, dass nicht einmal die Hälfte der Menschen in Ostdeutschland mit ihrem Alltagserleben im demokratischen System zufrieden sind. Sie fremdeln mit den politischen Realitäten. Dieser Befund sollte alarmieren. Er lässt verstörende Wahlergebnisse in der Zukunft befürchten. Verstörend zumindest für alle, die eine klare Abgrenzung gegenüber politischem Extremismus wünschen.
Somit ist es eine gute Nachricht, dass der Anteil Ostdeutscher in Spitzenpositionen in den meisten gesellschaftlichen Bereichen zuletzt zugenommen hat. Die Wiedervereinigung braucht viel Zeit, aber sie kommt voran. Der Ost-West-Unterschied wird sich langfristig wohl auflösen. Zum Vergleich: Vor 100 Jahren war es in Deutschland noch üblich, dass Katholiken seltener als Protestanten gesellschaftliche Spitzenpositionen erreichten. Das ist heute kein Thema mehr – zum Glück.
Ulrich Bausewein