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      Würzburger Projekt „Herzenssache“ vermittelt Partner für Menschen mit Handicap

      Ein Recht auf Partnerschaft

      Fast immer alleine zu Hause zu hocken, das geht Lisa D. ganz schön auf den Geist. „Ich langweile mich oft“, gesteht die 18-Jährige aus Würzburg. Schon seit längerem sehnt sich die Rollstuhlfahrerin nach einem Freund. Über „Herzenssache“, einer Partnervermittlung für Menschen mit einer Behinderung, hofft sie, endlich einen Schatz zu finden. Seit acht Jahren gibt es das Projekt der Würzburger Robert-Kümmert-Akademie. Die Akademie wurde nach dem früheren Caritasdirektor und Gründer des St. Josefs-Stifts Eisingen, Robert Kümmert, benannt.

      Um die 80 Menschen mit Behinderung aus der Diözese suchen über „Herzenssache“ einen Liebsten. So auch Lisa D. Manchmal ist die junge Frau nahe dran, die Flagge zu streichen. „Vielleicht werde ich niemals jemanden finden“, seufzt die junge Frau, die derzeit die Berufsschulstufe der Bentheim-Förderschule der Würzburger Blindeninstitutsstiftung besucht.

      In ihrer Schule tummeln sich zwar Jungs: „Aber die meisten sind sehr schwer behindert.“ Mit einigen könne man sich nicht mal richtig unterhalten, schildert Lisa D. Die kämen für sie nicht in Frage. Lisa träumt von einem Partner, der nicht oder nur leicht behindert ist. Groß soll er sein. Eher dunkel als blond. Und er soll laufen können: „Es reicht ja, wenn ich im Rollstuhl sitze.“

      Abenteuer „Liebe“

      In puncto „Liebe“ zeigt das Team von „Herzenssache“ eine klare Haltung: Auch Menschen, die gravierend beeinträchtigt sind, haben das Recht auf Partnerschaft, auf Ehe und auf eine Familie, so Sozialpädagogin Sarah Bauer. Aus diesem Grund werden Männer und Frauen, die im Rollstuhl sitzen, die blind oder gehörlos sind oder die eine psychische Behinderung haben, von ihr und ihrer Kollegin Stephanie Stoll ermutigt, sich auf das Abenteuer „Liebe“ einzulassen. In der Tat braucht es dafür Mut, so Bauer: „Für Eltern behinderter Kinder ist das Thema oft schwierig.“ Einige kündigen ihrem Kind gar an, sie würden es sterilisieren lassen, sollte es eine Beziehung eingehen.

      Noch immer heißt es also, ein heißes Eisen anzupacken, wenn man sich für sexuelle Selbstbestimmung behinderter Menschen einsetzt. Dabei wird schon seit 30 Jahren Sexualpädagogik unterrichtet, sagt Stephanie Stoll: „Doch es hat sich in diesen drei Jahrzehnten nur sehr wenig getan.“ Nicht nur Eltern, sondern auch Einrichtungen seien mit dem Thema oft überfordert. Sie vermittelten Menschen mit Handicap noch immer, dass sie schlicht kein Recht hätten, sich ihre Sehnsucht nach Partnerschaft und Sexualität zu erfüllen. Doch das, unterstreichen Sarah Bauer und Stephanie Stoll, bedeutet einen klaren Verstoß gegen die Menschenrechte.

      „Jemand zum Kuscheln“

      Seitens der Menschen mit Handicap besteht ein großes Interesse an „Herzenssache“, geht doch das Projekt weit über die bloße Partnervermittlung hinaus. So werden verschiedene Events veranstaltet, wo man gemeinsam Spaß haben, sich kennen lernen und beschnuppern kann. „Wir kochen zum Beispiel zusammen“, erzählt Corinna S. Die 34-Jährige wohnt im Eisinger St- Josefs-Stift, wo sie auch die Werkstätte besucht. Sie sehnt sich sehr nach einem „Partner zum Kuscheln“, der „nicht nur auf das eine aus ist“. Er soll zärtlich und zwischen 34 und 39 Jahre alt sein: „Vor allem soll er mich akzeptieren, so, wie ich bin.“

      Es ist schön, jemanden zu haben, der zu einem steht, wenn es einem mal dreckig geht. Und es ist beglückend, zu wissen, dass man für einen anderen Menschen das Wichtigste auf der Welt darstellt. Bisher hatte Corinna S. das nur selten erfahren. Sie hatte zwar schon Beziehungen gehabt: „Doch keine dauerte länger als ein halbes Jahr.“ Dann ging wieder alles in die Brüche. Corinna S. klagt nicht darüber. Sie sucht weiter. In der Hoffnung, ihrem Traumprinzen doch noch zu begegnen. Über die Datenbank von „Herzenssache“ hat sie neulich jemanden entdeckt, der sie interessieren würde.

      Mal schauen, ob es bis zum Jahresende klappt, eine neue Beziehung aufzubauen. Erst mal muss jedoch das erste Live-Date mit dem Mann, den sie gefunden hat, gut über die Bühne gehen. Obwohl Corinna S. nicht zum ersten Mal zu einem Rendezvous geht, hat sie ein bisschen Bammel: „Ich weiß nicht genau, was ich sagen und wie ich mich verhalten soll.“ Es wäre so wichtig, bei diesem ersten Treffen einen guten Eindruck zu machen. Damit der andere nicht gleich abgeschreckt ist.

      Herzflattern vor dem Date

      Corinna S. hat sich ein gemütliches Café in Würzburg als Ort für das Kennenlernen ausgesucht. Dort wird sie den Mann, der in der SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth lebt, alleine treffen. Wer zum allerersten Mal ein Date wahrnimmt, kann auch vom „Herzenssache“-Team begleitet werden. Außerdem ist es möglich, mit einer der Projektmitarbeiterinnen über das bevorstehende Rendezvous zu sprechen. Wie man überhaupt alle Fragen, die im Zusammenhang mit den eigenen Wünschen nach Partnerschaft, Freundschaft oder Sexualität auftauchen, mit „Herzenssache“ bereden kann.

      Corinna S. sucht vor allem jemanden, der ihr ein guter Kamerad wäre. Lisa D. sehnt sich danach, eine allererste Erfahrung mit einem jungen Mann zu machen. Andere Kundinnen und Kunden von „Herzenssache“ haben Heiratspläne. Sarah Bauer und Stephanie Stoll wissen über jeden einzelnen sehr gut Bescheid, denn in die Datenbank wird man nur dann aufgenommen, wenn man sich persönlich vorstellt. Dieses Vorgehen schließt Missbrauch aus. Und es ist möglich, passgenau zu vermitteln. Internet- affine Kunden dürfen und sollen die Datenbank eigenständig nutzen. Die Kontaktauf- nahme erfolgt allerdings immer über „Herzenssache“.

      Erfolgreiche Vermittlungen

      Schon mehrfach wurden Menschen mit einer Beeinträchtigung erfolgreich vermittelt. Einigen ist es gelungen, eine langjährige Beziehung aufzubauen. „In einem Fall kam es inzwischen sogar zur Hochzeit“, erzählt Bauer. Berührend ist es für sie, zu sehen, wie gut sich manche Paare zu ergänzen wissen: „Wir haben ein Paar, wo sie im Rollstuhl sitzt und er blind ist.“ Das Miteinander funktioniert hervorragend: „Während er schiebt, lenkt sie.“

      Mit Mut und Fantasie lässt sich also vieles machen. Wobei es behinderte Menschen bei der Partnersuche insgesamt wesentlich schwerer haben als Nichtbehinderte. Unter anderem wegen der meist fehlenden Mobilität. „Ich wünsche mir einen Partner, der selbstständig Zug fahren kann“, sagt Corinna S. Dazu sind viele nicht imstande.

      Treffen werden organisiert

      Auch der Kandidat aus der Partnerbörse, mit der Corinna S. im Moment liebäugelt und mit dem sie schon mehrmals telefoniert hat, scheint nicht so mobil zu sein, wie sie sich das wünschen würde. Hat er doch bereits angekündigt, dass er zum Treffen im Café mit seiner Hausmutter aus der Hohenrother Dorfgemeinschaft erscheinen wird.

      Das Team von „Herzenssache“ versucht immer, eine Möglichkeit ausfindig zu machen, damit sich zwei, die einander sympathisch sind, treffen können. Um die persönliche Vorstellung zwecks Aufnahme in die Datenbank zu erleichtern, sind Sarah Bauer und Stephanie Stoll gerade dabei, ein Netz an Vermittlerinnen und Vermittler in Unterfranken aufzubauen. In möglichst jeder Region, so der Wunsch, sollte es Vermittler in Einrichtungen oder anderen Institutionen geben, bei denen sich Interessierte vorstellen können. Über Fördergelder der „Aktion Mensch“ hofft Sarah Bauer, ein solches Netz an dezentralen Vermittlungsstellen realisieren zu können.

      Wichtige Mitarbeiter des Projekts sind schließlich „Peer-Berater“. Die haben selbst ein Handicap und können sich darum besonders gut in die Situation der Kunden von „Herzenssache“ einfühlen. Auch nehmen sie an Veranstaltungen teil. Zum Beispiel an der „Disco am Sonntag“ oder am gemeinschaftlichen Bowling unter dem Motto „Bahn frei für die Liebe“.     

      Pat Christ