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      Augustinerbruder Marcel Holzheimer blickt auf sein erstes Jahr als Priester in Zeiten von Corona zurück

      Ein Gleicher unter Gleichen

      Nun ist auch das letzte Quartal dieses so anstrengenden Jahres 2020 zu Ende. Für wen wäre es kein besonderes Jahr gewesen? Fast alle Menschen wurden aus ihrer gewohnten Ordnung herausgerissen. Vieles lief anders, als man es geplant hatte. Auch Bruder Marcel Holzheimer von den Würzburger Augustinern hatte sich 2020 anders vorgestellt. Dem am 30. November 2019 zum Priester geweihten Augustiner bescherte die Corona-Pandemie einen ungewöhnlichen Einstieg ins Priesterdasein – mit vielen berührenden Momenten.

      Die Pandemie stürzt in Einsamkeit, sie verschlimmert psychische Krankheiten, sorgt für Rückfälle im Suchtbereich und katapultiert Menschen, die ihren Lebensunterhalt bisher immer selbst verdient haben, ins Hartz IV-System. „Die ganze Gesellschaft befindet sich in einer Art ‚Zwischenraum‘“, sagt Bruder Marcel mit Blick auf den pastoralen Schwerpunkt der Würzburger Augustinerkirche. Die hat vor zehn Jahren im Zuge des Kirchenumbaus das Thema „Trauer“ in den Mittelpunkt gerückt. Im Eingangsbereich wurde architektonisch ein „Zwischenraum“ für Trauerende geschaffen. Im monatlichen ­Ritual „ZwischenRaum“ werden Trauernde besonders angesprochen.

      Angst vor Isolation

      Die Menschen leiden darunter, dass das Leben gerade so streng reglementiert ist, erfährt Bruder Marcel durch seine pastorale Arbeit. „Es ist einfach sauschwer, mit dieser Distanz und mit der Isolation umzugehen“, äußerte ihm gegenüber neulich eine ältere Frau, die regelmäßig zum Gottesdienst in die Augustinerkirche kommt. Die Frau wohnt alleine. Was in der aktuell terminarmen Zeit bedeutet: Jeden Tag muss sie sich aufs Neue aufraffen, irgendetwas zu tun. Um dem Tag eine Struktur zu geben. Um für Sinn zu sorgen. Jeden Tag fragt sich die Frau x-Mal: Darf ich dies oder jenes? „Ältere Menschen überlegen zum Beispiel sorgfältig, ob sie ihre Enkel treffen sollen“, hat Bruder Marcel erfahren.

      Auch in der Augustinerkirche fand wochenlang kein Gottesdienst und kein Orgelkonzert statt, die Veranstaltungsreihe „Musik und Meditation“ wurde gecancelt. Im pastoralen Team überlegten die Brüder, wie sie mit dem ersten Lockdown umgehen sollten. Es entstand die Idee, Wort-Gottes-Feiern digital anzubieten. Außerdem gibt es bis heute Impulse auf YouTube und Facebook.

      Eucharistiefeiern allerdings wurden nicht online übertragen. „Solange wir das Wort Gottes und solange wir Brot und Wein nicht direkt mit den Menschen teilen durften, solange wollten wir selbst das auch nicht tun“, erklärt Bruder Marcel. Online-Eucharistiefeiern, das hätte nicht zur Identität der Augustiner gepasst.

      Befreiungsschlag

      Doch würden die Menschen bei der Stange bleiben? Würden sie nach wochenlanger „Gottesdienst-Abstinenz“ zurück in die Kirche kommen? Teilweise war das nicht der Fall, berichten Pfarrgemeinderäte aus der Diözese. Die Menschen gewöhnten sich an den Sonntag ohne Gottesdienst. Oder daran, sich dann, wenn sie gerade Zeit haben, einen Gottesdienst online anzuschauen. Frühmorgens. Oder in der Nacht.

      Die Augustiner allerdings machten andere Erfahrungen: Sowie es wieder möglich war, live miteinander zu feiern, kamen die Gläubigen herbei. Glücklich. Erleichtert. „Es fühlte sich an wie ein Befreiungsschlag“, erinnert sich Bruder Marcel.

      Die Augustiner müssen ihren „Schäfchen“ nicht nachrennen. Das würden sie auch niemals tun. Wie es ihnen grundsätzlich nicht darum geht, ihre Kirche zu füllen. Der pastorale Ansatz ist ein völlig anderer. „Was brauchen die Menschen?“ Diese Frage steht im Mittelpunkt, wenn sich das pastorale Team trifft.

      Aus dieser Frage heraus wurde auch die Kirche vor zehn Jahren umgestaltet. Seither wird pastoral nach der Idee der Communio gearbeitet. Alle Gottesdienstbesucher einschließlich des Priesters sitzen auf ellipsenförmig angeordneten Stühlen in der Mitte des Kirchenraums. Alle sind Gleiche unter Gleichen. Alle, wie Bruder Marcel das ausdrückt, „das pilgernde Volk Gottes“.

      Keine Rangordnung

      Die Frage, wie es sich mit den kirchlichen Hierarchien verhält, ist ein Topthema seit dem Aufdecken der Missbrauchsskandale. Gelten doch die von Machtgefälle, Intransparenz und autoritativem Gebaren geprägten Kirchenstrukturen als ein Grund dafür, dass es so lange zu so erschreckend vielen Fällen von Missbrauch kommen konnte. Bruder Marcel ist es völlig fremd, in hierarchischen Strukturen zu denken. Ganz typisch ist deshalb auch seine Reaktion auf die Frage, wie viele Priester es unter den 21 Brüdern im Würzburger Augustinerkloster gibt: „Oh, da müsste ich erst mal nachdenken.“ Im Miteinander, erklärt Bruder Marcel, spiele es überhaupt keine Rolle, ob jemand geweiht ist oder nicht.

      Nach dem Shitstorm

      Die Sitzordnung in der Kirche ist das markanteste Beispiel für die Absage der Augustiner an Macht und Hierarchie. Es gibt außerdem keinen erhöhten Altar. Vor zehn Jahren, erinnert sich Bruder Marcel, löste dieses Konzept einen „Shitstorm“ aus: Viele echauffierten sich über die Ideen der Augustiner. Inzwischen haben sich die Wogen fast völlig geglättet. Nur bei Kirchenführungen bekommt der Priester manchmal noch kritische Stimmen zu hören. Erklärt er das Konzept genauer, löst er oft einen Aha-Effekt aus.

      Allerdings nicht immer: „Wenn jemand ein völlig hierarchisch geprägtes Kirchenverständnis hat, fühlt er sich von unserem Konzept vor den Kopf gestoßen.“ Es gibt Menschen, die es verabscheuen, nur einer unter vielen zu sein. Nichts Besonderes. Nicht auserwählt. Männer, die nicht zuletzt aus einem solchen Gefühl heraus Priester werden wollen, kommt das Kirchenrecht entgegen. „Leider“, betont Bruder Marcel. Das Kirchenrecht kennt zum einen das „Gemeinsame Priestertum“ der Gläubigen als Teilhabe aller Getauften am Priestertum Christi: „Daneben gibt es das besondere Priestertum.“ Eben das der geweihten Priester.

      Die Besonderheit wird an hundert Kleinigkeiten sichtbar. An der exponierten Stellung des Priesters während des Gottesdienstes. An seinem Sitz im Altarraum. An seiner Kleidung.

      Als Prokurator tätig

      Überheblichkeit ist mitunter die logische Konsequenz des permanenten Herausgehobenseins. Bruder Marcel ist auch dies gänzlich fremd. Gefragt, was sich seit seiner Priesterweihe vor einem Jahr geändert hat, sagt der 33-Jährige denn auch spontan: „Also, im alltäglichen Leben hat sich gar nichts verändert.“ Er gehe wie gehabt ganz normal seiner Arbeit im Kloster nach. Die hat zunächst auch gar nichts mit Theologie zu tun: Bruder Marcel ist als Prokurator für die rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klosters in der Hauswirtschaft, der Pflege und in der Haustechnik zuständig. Und das bedeutet eine Menge Arbeit. Zumal in Corona-Zeiten.

      Hineingewachsen

      Im Kloster kommt man zu solchen Jobs, auch wenn man nicht über Vorwissen verfügt, lacht Bruder Marcel: „Ich habe ja weder BWL noch Management studiert.“ Doch der Theologe wuchs nach und nach in seine Aufgaben hinein. „Ich bin zum Glück nicht alleine“, sagt er. Bruder Marcel stimmt sich mit seinen Kollegen aus dem Leitungsteam des Klosters, mit der Pflegedienst- und der Hauswirtschaftsleitung ab. In den letzten Wochen war viel Abstimmung nötig. Sind genug Masken da? Reicht der Vorrat an Desinfektionsmitteln? Was können wir von den Konzepten anderer Klöstern auf unser Kloster übertragen? „Ich war wirklich stark eingespannt“, gibt der Mönch zu.

      Eine Frage nervt ihn

      Was Bruder Marcel nervt, ist die Frage, warum er sich entschied, ins Kloster zu gehen. Warum er Priester wurde. All das, was er schon tausend Mal gefragt wurde. Oder anders gesagt: Die Nullachtfünzehn-Haltung, aus der heraus solche Fragen gestellt werden, findet er einfach nur ermüdend. Wer mit ihm tiefer ins Gespräch kommen möchte, mit dem tauscht sich Bruder Marcel allerdings gern aus. Er liebt es, pastoral zu arbeiten, erzählt der junge Mann im Kapuzenpullover, dessen ruhige Ausstrahlung gefangen nimmt. Schon vor der Weihe tat er das. Weihen ließ sich Bruder Marcel, weil der „pastorale Blumenstrauß“ nur dadurch größer wird. Derzeit noch, sagt er. Und: „Leider.“    

      Pat Christ