Was dem „Familienbund der Deutschen Katholiken“ (FDK) in der Diözese Würzburg Anfang der 1990er Jahre eingefallen war, hatte der FDK noch nirgends im Land verwirklicht. Und für Europa hatte das Projekt gar Modellcharakter. „Menschen aus anderen Gemeinden kamen in Busladungen an und ein Sponsor schickte gar eine Delegation aus Israel“, erinnert sich Thomas Lorey, Personalleiter der Diözese und Vorsitzender des Nachbarschaftsvereins Hettstadt e.V. Schließlich erschien sogar ein Buch über das Vorhaben. „Das Projekt ging oft an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit als Verband“, sagte 1997 die damalige FDK-Vorsitzende Dr. Pia Beckmann
Günstig und ökologisch
Geschaffen werden sollte günstiger Wohnraum für junge Familien, verbunden mit ökologischem Bauen. Alle Häuser haben eine Wohnfläche von 124 qm, einen gleichen Grundriss und gleiche Außenmaße. Die Innenaufteilung aber konnten die neuen Bewohner individuell gestalten. Die einheitliche Ausstattung der Siedlung mit Photovoltaikanlage und Wärmepumpe war damals in Europa einmalig. „Um das jeweilige Haus herum wurden schlangenförmig Leitungen gelegt, die mittels Wärmepumpe dem Boden Wärme entziehen, mit der dann das ganze Haus beheizt wird. Über eine zusätzliche Umluftanlage wird daneben heißes Wasser beispielsweise zum Duschen oder Spülen erzeugt.“, erläutert Lorey. Den Strom liefert die Photovoltaikanlage, die gestalterisch und farblich den Dächern angepasst ist und damals die größte in Bayern war. Der Grundpreis für das ganze Haus betrug insgesamt „nur“ 143600 Euro – wofür ein Käufer heute gerade mal eine kleine Eigentumswohnung bekommt. Und auch die Grundstücke mussten die Familien nicht kaufen. Das Brunowerk stellte sie in Erbpacht zur Verfügung.
Nach mehr als drei Jahren Planung gab es am 26. Mai 1996 den ersten Spatenstich. Der Freistaat, Bundesfamilien- und Bundesforschungsministerium hatten das Projekt gemeinsam mit anderen Sponsoren unterstützt und schickten Abgesandte. Da waren die Bauherren und -damen schon eine verschworenen Gemeinschaft. Denn zwei Jahre lang trafen sie sich alle
14 Tage mit Architekten und Bauleuten und diskutierten über den Grundriss oder darüber, wie man günstig an Baumaterialien kommt. „So taten sich dann Leute zusammen, die gerne einen Parkettboden haben wollten, und andere, die gemeinsam Fliesen bestellten“, erinnert sich Lorey lächelnd. Und es wurde auch langsam klar, wer mit wem gut konnte und gemeinsam eine der Doppelhaushälften beziehen wollte.
Die eigentliche Bauphase verlief rasant. Zwar sollten ursprünglich Holzhäuser gebaut werden, doch bald stellte sich heraus, dass mit Stein besser in die Höhe gebaut werden konnte und der gesamte Bau auch preisgünstiger werden würde. Im August hoben die Baufirmen die Baugrube aus – und bereits im Januar des folgenden Jahres zog die erste Familie ein. Der damalige Pfarrer Karl Menth stand den Siedlern bei und erwirkte, dass Bischof Paul-Werner 1997 nach Hettstadt kam, um die Siedlung zu segnen
Verschworene Gemeinschaft
Gemeinsam etwas zu tun, war und ist das Spezifikum dieser Siedlung. Der FDK hatte bereits bei der Grundstücksvergabe darauf achtgegeben, dass die künftigen Bewohner – vom Arbeiter bis zum Uniabsolventen – teamfähig sind. Die Vorteile des Gemeinsamen lernten die Neu-Hettstädter schon bald kennen. Funktionierte irgendwo etwas nicht, wurde wo gepfuscht, konnte man gegenüber dem Verursacher zusammen auftreten. Gemeinsam gab es auch für den Innenausbau günstigere Preise. Und dann stellten die Siedler fest: Gemeinsam kann man sich besser ins Dorfleben integrieren. Gemeinsam war die Schwellenangst, in örtlichen Vereinen aktiv zu werden, geringer. Davon profitierten schließlich sowohl Gemeinde als auch Siedler. Die Gemeinschaft stärkt sich selbst durch jährliche Familienwochenenden in katholischen Bildungshäusern und nicht zuletzt durch das Stichstraßenfest, zu dem alle Dorfbewohner eingeladen sind und dessen Erlös caritativen Zwecken vor Ort zufließt.
„Der Siedlerverbund soll bis ins Alter hinein als Anlaufstelle und Hilfsgemeinschaft und für gemeinsame Unternehmungen erhalten bleiben“, wünscht sich Thomas Lorey. Er hofft, dass auch die nächste Generation und die neu Dazukommenden den Gedanken weitertragen. Die Siedler von Hettstadt sind immer bereit, ähnliche Projekte – wie es sie etwa schon in Waldbüttelbrunn und am Untermain gibt – mit Rat und Tat zu unterstützen. Denn bauwillige junge Familien gibt es genug.