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      Psychosoziale Dienste spüren die Auswirkungen der Pandemie massiv

      Die Krise zermürbt immer mehr

      Manche gehen vor lauter Angst nicht mehr vor die Tür. Andere sind durch die Kombination aus „Homeoffice“ und „Homeschooling“ am Rande ihrer Kräfte. Wieder andere fühlen sich innerlich wie ausgestorben. Weil es so still um sie geworden ist. Weil sie mit kaum jemandem mehr reden. Dass psychosoziale Probleme zugenommen haben, bestätigen die Telefonseelsorge, die Fachstelle Suizidberatung, die Eheberatung der Diözese und auch der Sozialpsychiatrische Dienst (SpDi) des Erthal-Sozialwerks.

      Kontaktbeschränkung, drohende Konjunkturkrise und Lockdown. Die Mischung aus vielfältigen Einschränkungen und sich abzeichnenden Gefahren macht den Leuten zu schaffen. Anrufer bei der Telefonseelsorge klagen über Einsamkeit. „Von jenen Menschen, die unseren Chat nutzen, kämpfen 22 Prozent mit depressiven Verstimmungen“, sagt Einrichtungsleiterin Ruth Belzner. Im Durchschnitt klingelt das Telefon täglich 34 Mal. Das sind etwa zwei Gespräche mehr als vor Ausbruch der Pandemie. Die Seelsorgerinnen müssen die Telefonate derzeit etwas kürzer halten als sonst, damit möglichst viele durchkommen.

      Neben Einsamkeit hat auch Ärger merkbar zugenommen. Die Leute ärgern sich über rücksichtslose Mitmenschen. Es gab in letzter Zeit aber auch Ärger bis hin zu Wut über Maßnahmen, deren Sinn sich nicht erschloss. Belzner erinnert sich an einen Mann, der nach 21 Uhr noch Zigarettenholen ging und dabei von der Polizei erwischt wurde. Er musste 500 Euro Strafe zahlen. Klar, er verstieß gegen die damaligen Regeln. Doch er schadete keinem, war dochauf dem Weg zum Automaten niemand da, den der Mann, wäre er denn unwissentlich infiziert gewesen, hätte anstecken können. Solche Sanktionierungen provozieren teils massiven Unmut.

      Nervlich am Ende

      Es ist nicht der Job von Telefonseelsorgern, Anrufern Angst oder Ärger zu nehmen. Die Arbeit der Ehrenamtlichen besteht vor allem darin, zuzuhören. Das, was der andere sagt, mit auszuhalten. Da zu sein. Manches Schicksal, sagt Belzner, ist hart. Wenn jemand durch Covid-19 seine Arbeit verliert, wenn sich dadurch Spannungen in der Ehe verstärken und am Ende die Beziehung zerbricht, und wenn es dann noch Probleme gibt, die Miete zu zahlen, dann ist das einfach übel. Lapidarer Trost wäre hier fehl am Platze.

      Nach einem Jahr sind viele nervlich am Ende. Zwar schnellten auch beim ersten Lockdown die Zahl der Anrufer in die Höhe, erinnert sich Belzner: „Doch damals waren die Menschen eher aufgeregt, jetzt sind viele zermürbt.“ Gerade zu Beginn der Krise kamen viele erstmals auf die Idee, die Telefonseelsorge anzurufen. Mehrere dieser Erstanrufer vom März und April wurden zu „Stammkunden“ der ökumenischen Einrichtung. Das, sagt Belzner, verwundert auch nicht: „Die Probleme, derentwegen die Menschen damals anriefen, sind ja nicht verschwunden.“ Im Gegenteil. Oft haben sie sich verschärft.

      Es gibt punktuell auch Positives, zum Beispiel den Innovationsschub in der Digitalisierung. Allerdings kommen die neuen Möglichkeiten, virtuell miteinander in Kontakt zu treten, nicht allen gleichermaßen zugute. Viele psychisch erkrankte Klienten des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Erthal-Sozialwerks in Würzburg besitzen gar nicht die Ausrüstung, um per Video zu konferieren. Das würden sie meist auch nicht wollen: Sie fordern Begegnungen in der Realität. Immerhin können sich im Sozialpsychiatrischen Dienst (SpDi) an Werktagen nach wie vor bis zu vier Klienten mit einem Bürgerhelfer treffen. Immerhin.

      Auf den Kopf gestellt

      Es ist in diesen Zeiten fraglos schwer, sich seinen Optimismus zu bewahren. Wer schon vorher beeinträchtigt war, leidet jetzt häufig doppelt. Beim SpDi ist seit Januar ein deutlicher Anstieg der Erstkontakte zu beobachten, sagt Einrichtungsleiter Andreas Mayer: „Normalerweise haben wir im Durchschnitt 22 neue Klienten im Monat, in den ersten fünf Wochen des Jahres 2021 waren es 33.“

      Anders als bei der Telefonseelsorge hören sich die Mitarbeiter nicht nur an, was die Klienten belastet. Beim SpDi gibt es handfeste Hilfe: „Wir vermitteln in ärztliche Betreuung oder schauen, ob finanziell alles geregelt ist.“ Die Erfahrung, dass sich das Leben aus heiterem Himmel komplett ändern kann, ist für die meisten neu: Alles ging bisher mehr oder weniger seinen Gang. Meist ging es sogar, etwa, was berufliche Karrieren anbelangt, aufwärts.

      Wer an einer seelischen Krankheit leidet, weiß hingegen genau, wie das ist, wenn das Leben auf den Kopf gestellt wird. Häufig geht die Diagnose etwa einer Psychose mit dem Verlust des Jobs einher. Häufig zerbrechen Beziehungen. Manchmal wird der Umzug in eine Einrichtung notwendig. Jetzt zeigt sich: Einigen Betroffenen hilft ihre Erfahrung nun. Andere klagen, dass sie doch sowieso schon viel Pech gehabt haben. Und jetzt auch noch Corona.

      Tief in der Krise

      „Die Pandemie kann psychische Krankheiten befeuern“, erläutert Mayer, „zum Beispiel Angsterkrankungen.“ Im Falle eines Klienten, der neuerlich psychotisch wurde, hängt der aktuelle Schub womöglich damit zusammen, dass sein Lebensrhythmus komplett durcheinanderkam. Der Mann, der kaum soziale Kontakte hat, war gewohnt, jeden Tag in der Stadt einen Kaffee zu trinken. Das war seine Form der sozialen Teilhabe. Nun fiel diese Möglichkeit, etwas vom Leben mitzubekommen, weg.

      Doch rigorose Kontaktreduzierung gilt noch immer als Grundbedingung dafür, dass die Zahl der Infizierten sinkt. Aus Vernunftgründen unterdrücken wir alle damit elementare Bedürfnisse nach Nähe, Gemeinschaft, Erlebnissen. Menschen mit psychischen Erkrankungen leiden ganz besonders, sagt Waltraud Stubenhofer, Leiterin der Würzburger „Fachstelle Suizidberatung – Unterstützung in kritischen Lebenssituationen“ (vormals Krisendienst). Auch sie ist überzeugt: Vorhandene Symptome können dadurch verstärkt werden.

      Die Fachstelle Suizidberatung hat es mit Leuten quer durch alle Schichten zu tun. Rund 1000 Kontakte wurden letztes Jahr im Tag- und abendlichen Bereitschaftsdienst registriert. Neben Menschen, die so tief in einer Krise stecken, dass sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, wenden sich Angehörige an den Dienst. „Inhaltlich hat sich durch die Pandemie wenig bei uns geändert, denn wir haben es von jeher mit schweren Krisen zu tun“, berichtet Stubenhofer.

      Trennungen stoppen

      Die Lage wirkt sich auch auf Paare fatal aus, betont Albert Knoett, Leiter der Ehe-, Familie und Lebensberatung (EFL) der Diözese. Auch hier stiegen die Anfragen. Knoett erzählt von einer Familie, die einen erzwungenen Rollentausch hinter sich hat. Die Mutter ist Altenpflegerin. Wegen Personalmangel muss sie jetzt noch mehr arbeiten als sonst. Der Vater ist in Kurzarbeit, viel zu Hause, und muss sich um die Kinder kümmern. So hatten die beiden das nie geplant, sie sind völlig überfordert. Die Mutter im Job. Der Vater mit der Kinderbetreuung. Jetzt steht eine Trennung im Raum. – Es ist eben das eine, die Ringe zu tauschen, und das viel schwierigere andere, miteinander durch dick und dünn zu gehen. Krisen zusammen durchzustehen.

      Das Team der EFL hat immer viel zu tun, doch aktuell ist die Arbeit besonders schwierig. Nicht nur wegen der gestiegenen Nachfrage. Pandemiebedingt sind die Problemlagen viel verzwickter. Über allem schwebt noch der diözesane Rotstift. „Wir finanzieren uns zu 80 Prozent aus Kirchensteuermitteln“, berichtet Knoett. Die Mittel der Erziehungsberatung stammen dagegen fast komplett aus öffentlichen Quellen.

      Der Staat müsste aus Eigeninteresse einen Rechtsanspruch auf Paarberatung installieren, findet er. Denn es belastet die gesamte Gesellschaft, wenn Ehen zerbrechen. Sehr oft landen dann Mütter, die so alleinerziehend werden, im Hartz IV-Bezug. Vor allem kleinere Kinder leiden oft sehr darunter, wenn sich Papa und Mama trennen. Manche geraten in so gravierende seelische Not, dass teure Maßnahmen der Jugendhilfe nötig werden. Durch Prävention mittels Paarberatung könnte solches Leid verhindert werden.

      Pat Christ