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      Theologe Gerhard Kruip mahnt Änderungen in Katechismus und Kirchenrecht an

      Die Kirche und der Kampf gegen Rechts

      Über den Tellerrand schauen, um das, was man denkt und für gut empfindet, einmal kritisch zu überprüfen – das ist genau das, was Populisten konsequent vermeiden. Sie beharren auf ihrer Ansicht. Und verbreiten sie „wild“. Mit diesen Menschen umzugehen, ist schwierig. „Doch man sollte sie nicht von vornherein verdammen“, sagt Gerhard Kruip. Der Theologe, der sich in Würzburg habilitierte, hat heute eine Professur für Christliche Anthropologie und Sozialethik in Mainz inne.

      Warum schwelt ein derartiger Hass in einem Menschen, der antisemitische Bemerkungen loslässt, sich ausländerfeindlich äußert, Flüchtlinge am liebsten „hinauswerfen“ würde oder Homosexuelle diffamiert? Was beunruhigt diesen Zeitgenossen? Wovor hat er Angst? Danach, sagt Kruip, gilt es zu fragen: „Zuhören ist immer der erste Schritt.“ Doch sollte man es dabei nicht bewenden lassen: „Wer selbst zuhört, darf erwarten, dass auch ihm zugehört wird.“ Ob der andere das tut, ist natürlich die große Frage. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber einen Versuch ist es wert.

      Dass in Deutschland die Stimmung umgeschlagen zu sein scheint, dass also Rechtspopulismus tendenziell wieder zunimmt, gab den Anlass für Kruips Besuch im Würzburger Schönstattzentrum. Monika Berwanger vom Fortbildungsinstitut des Bistums hatte den Sozialethiker eingeladen. Knapp 40 Interessierte waren gekommen, um gemeinsam darüber nachzudenken, was gegen rechtsextremes Denken in der Gesellschaft, vor allem aber auch in der Kirche zu tun ist. Viele waren bereits mit Populismus konfrontiert. „Das Thema begegnet mir tagtäglich unter Schülern, aber auch unter Kollegen“, so eine Religionslehrerin aus der Diözese.

      Kein Rauch ohne Flamme, sagt ein Sprichwort. Und so gibt es auch beim Thema „Rechtspopulismus“ vielfältige Ursachen. Die zu kennen, sagt Kruip, ist wichtig, um angemessen auf populistische Äußerungen reagieren zu können: „Zukunftsängste spielen eine große Rolle.“ Mit Blick auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die durch ökologische Transformationen wie den Kohleausstieg, aber auch durch die Digitalisierung vorangetrieben werden, haben immer mehr Menschen Angst vor dem sozialen Abstieg. Kruip: „Viele erleben derzeit außerdem Kränkung und Erniedrigung.“ Sie kommen nicht mehr mit. Fühlen sich abgehalfert. Abgehängt.

      Gefühl von Heimatverlust

      Denen „da oben“ wird vorgeworfen, sie kümmerten sich nicht mehr wirklich um die Bürger. Kruip: „Es gibt den Eindruck des Politik- und Staatsversagens.“ Vor allem im Osten greife das Gefühl um sich, die eigene Heimat verloren zu haben, ohne dass man sie physisch verlassen hätte. So stark hat sich gerade dort vieles verändert: „Zum Beispiel gibt es eine Menge Geschäfte nicht mehr.“ Aus diesen und anderen Gründen neigt heute jeder vierte Deutsche Befragungen zufolge zu populistischen Meinungen.

      Die Quote der Populisten scheint auch in Kirchenkreisen zu steigen. „Es gibt Ministranten, die mit der AfD sympathisieren“, berichtete ein Pfarrer. Das darf nicht hingenommen werden. Kruip: „Als Christen sind wir verpflichtet, gegen jede Art von Rassismus und Sexismus einzutreten, und wir sind verpflichtet, uns für die Verwirklichung der Menschenrechte, vor allem auch für die Religionsfreiheit, einzusetzen.“

      Gleichzeitig gibt es für Christen laut Kruip ein großes Problem: „Als katholische Kirche stehen wir nicht gerade als das leuchtende Beispiel für Dialog da.“ Die Kirche, fordert Kruip, müsse ihre eigene Geschichte und Gegenwart dringend „kritisch reflektieren“.

      Wer sich an das heikle Thema „Rechtspopulismus“ wagt, muss sich auch dafür einsetzen, dass der Katechismus und das Kirchenrecht anders formuliert werden, appellierte der Theologe. Denn aktuell ist die Kirche, mit Blick auf das Kirchenrecht, nicht glaubwürdig in ihrer Forderung nach Teilhabe und Dialog.

      Nach kirchlichem Recht sind die Laien der Hierarchie unterstellt und verpflichtet, den Gesetzen „blind“ zu gehorchen. Gläubige müssen demnach „in christlichem Gehorsam“ befolgen, „was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen“. Solche Aussagen widersprechen Menschenrechten.

      „Sind wir glaubwürdig?“

      Für die katholische Kirche ist es auch schwierig, gegen Homophobie zu protestieren, denn im Katechismus werden homosexuelle Handlungen nach wie vor als hochgradig unmoralisch verurteilt. Sie seien, heißt es, „wider die Natur“ und eine „Sünde“. Nach der katholischen Lehre, so Kruip, dürfen Homosexuelle ihre Sexualität überhaupt nicht leben. „Das zeigt in Bezug auf das Vorgehen gegen Rechtspopulismus, dass wir ein Glaubwürdigkeitsproblem innerhalb der katholischen Kirche haben,“ zeigte der Theologe auf.

      Wettern gegen den Synodalen Weg

      Der Synodale Weg hat sich zum Ziel gesetzt, Macht und Gewaltenteilung in der Kirche neu zu denken und Möglichkeiten zu finden, Frauen kirchliche Ämter zu öffnen. Damit allerdings ist bei weitem nicht jedes Kirchenmitglied einverstanden. In Paderborn zum Beispiel gründete sich ein Kreis von zehn Priestern, die mit rechtskonservativen Positionen gegen den Synodalen Weg wettern. „Communio veritatis“ nennen sie sich. Der Synodale Weg wurde von diesen Priestern kürzlich als „pseudotheologisches Desaster voller Falschheit und Lüge“ angegriffen. Die Priester stehen unter anderem hinter der Lehrmeinung, dass Homosexualität eine „schlimme Abirrung“ darstellt.

      Die klare Haltung: „Ohne mich!“ ist in der Konfrontation mit solchen extremen Äußerungen von akademisch gebildeten Menschen, die imstande sein müssten, zu reflektieren, oft die einzig sinnvolle Reaktion. „Würde ich bei uns in der Kirche eine Predigt mit solchen Inhalten hören, würde ich aufstehen und gehen“, hieß es denn auch von Seiten der Teilnehmer. Die meisten wollen mit derart radikal denkenden Christen nichts zu tun haben. Und doch gibt das, was „Communio veritatis“ sagt, zu denken: Warum ist die Kirche eigentlich so hierarchisch organisiert?

      Mit dieser Hierarchie wurde in der Geschichte einst etwas Konkretes angezielt, erläuterte Kruip: „Die Kirche wollte sich auf diese Weise gegen absolutistische Staaten behaupten.“ Das sollte wissen, wer sich auf einen argumentativen Streit mit einem extrem denkenden Kirchenvertreter einlässt. Die Struktur der Kirche ist also historisch gewachsen. Deshalb kann sie auch verändert werden. Heute, sagt Kruip, bräuchte es sogar dringend Veränderungen: „Denn die hierarchischen Strukturen sind dysfunktional geworden.“

      Kirche musste immer wieder nachbessern

      Im Rückblick ist laut Kruip zu erkennen, dass die Kirche immer wieder nachbessern musste. Sie lernte moralisch hinzu: „Früher hatte die Kirche auch Sklaverei und die Todesstrafe akzeptiert.“ Auf dieselbe Weise könnte sie ihre Lehrmeinung zu Homosexualität revidieren. Kirchenrecht und Katechismus stellen nun einmal keine unveränderbaren „Wahrheiten“ dar. Auch finden sich zu vielen kirchenrechtlichen Aussagen in der Bibel Stellen, die diese Aussage belegen, und andere, die dieser Aussage widersprechen.

      Viele Menschen machen heute deshalb einen Bogen um die Kirche, weil sie die Widersprüche nicht mehr aushalten. Das ist für Kruip fatal, denn dadurch gibt es immer weniger Menschen, die Jesu Hoffnungsbotschaft weitergeben. Doch diese Botschaft würde angesichts der aktuellen Sinn- und Hoffnungskrise dringend benötigt: „Die Kirche selbst wird gebraucht wie nie zuvor.“    

      Pat Christ

      Hintergrund: rechtsextrem

      Laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht gibt es derzeit in Deutschland über 24 000 Personen, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden müssen. Über die Hälfte, also gut 12000 Personen, gelten als potenziell gewaltbereit. Vor allem sogenannte Reichsbürger werden als „sehr waffenaffin“ eingeschätzt. In den vergangenen Monaten wurden hier über 500 Waffenscheine entzogen. 2018 wurden 1799 antisemitische Taten registriert, davon waren laut Bundeskriminalamt 1603 rechtsextrem motiviert. Einer Studie des Institute for Strategic Dialogue zufolge finden sich auf zehn alternativen Internet-Plattformen wie Telegram 375 rechtsextreme und rechtspopulistische Kanäle mit bis zu 50 000 Nutzern.