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Krokusse

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      Der Sarg auf dem Dachboden

      „Tut nicht ganz vergessen auf mich, und schickt mir dann und wann ein Vaterunser nach ... Und sonst wisst ihr schon, wenn ihr am Rainacker die Erdäpfel anbaut, so setzt sie erst im Mai ein ... Ja, und dass ich nicht vergess, die schwarzen Hosen und das blaue Jöppel, weißt, ... und draußen hinter der Tür, wo die Sägen hängen, lehnt das Hobelbrett; das leg über den Schleifstock und den Schnitzbock, für drei Tag wird’s wohl halten. Morgen früh, wenn der Holzjosel kommt, der hilft mich schon hinauslegen.“

      Man möchte meinen, da verreist einer nur kurz und bald ist er wieder da. Aber es sind die letzten Worte eines sterbenden Waldhüters an seine Frau. Sie stammen aus einer alten volkstümlichen Erzählung. So gelassen konnten die Leute früher tatsächlich sterben. Der Tod gehörte zum Leben wie das Geborenwerden. Man war – bei aller abergläubischen Distanz – mit den Verstorbenen vertraut und fühlte sich mit ihnen ständig verbunden. Das ist noch gar nicht so lange her. Wie selbstverständlich die Leute damals mit dem Tod lebten, machen Erinnerungen alter Bewohner des Bayerwalds deutlich: Dort hatte man nicht selten einen Sarg auf dem Dachboden stehen. Warum? Man wollte gerüstet sein, wenn jemand im tiefsten Winter im Hause starb und man ihn dann nicht bestatten konnte, weil rings ums Haus meterhoch der Schnee lag.In der Gegend von Regen soll man so einmal irrtümlicherweise solch eine „Totentruhe“ begraben haben, in der statt der Leiche das Geräucherte vom jüngst geschlachteten Schwein und eine Menge Dörrobst überwintern sollten. Die verstorbene Tante Annemarie lag derweil friedlich im zweiten Sarg auf dem Dachboden.

      Die magischen Totenbretter

      Ein weiterer Brauch betrifft die Totenbretter oder Leichenbretter, auf denen der Tote bis zum Begräbnis im Sterbehaus aufgebahrt wurden. Sie begleiteten ihn auch auf seinem letzten Weg. Nach der Beerdigung wurden sie zur Erinnerung am Wegrand aufgestellt. Man findet sie noch an Ortsausgängen, Kapellen und Waldrändern im Bayerischen Wald, in der Oberpfalz, zwischen Lech und Ammersee, im Dachauer Hinterland – und im Rupertiwinkel gar in ungebrochener Kontinuität seit der Mitte des 19. Jahrhunderts.

      Manche Volkskundler führen das Aufstellen solcher Bretter auf heidnische Zeiten zurück. Damals schrieb man dem Totenbrett magische Wirkungen zu. Und man nahm an, der Tote fände erst dann Ruhe, wenn das Brett vermodert sei. Um dem Zerfall nachzuhelfen, setzte man die Bretter der Witterung aus und legte sie als Stege über Bäche und Sümpfe. In Ruhpolding nagelte man die schwarz und weiß bemalten Bretter gar an Bäume. 

      Wer auf solchen Totenbrettern allerdings Inschriften liest wie „Hier liegt Johannes Weindl – er lebte wie ein Schweindl“, ist einem Witzbold aufgesessen. Das entzückt zwar Touristen, doch Fachleute winken ab. Alles nachgebaute Fälschungen, nichts echt.

      „Sterben ist ja Menschenpflicht“

      Dem alten Brauch entspricht dagegen ziemlich genau ein 1851 in der Eich-Kapelle bei Oberbernbach in Oberbayern aufgestelltes Totenbrett, das  mit einem aus Füllhörnern gebildeten Medaillon geschmückt ist. Darauf ist die Verstorbene kniend in der typischen Tracht ihrer Gegend mit Pelzhaube zu sehen. Um einen gemalten Totenschädel windet sich die Schlange der Versuchung, einen Apfel im Maul. Die Inschrift lautet:

      „Meine Kinder, weinet nicht,
      Ich hab‘ ausgelitten.
      Sterben ist ja Menschenpflicht,
      Ach, da nützt kein Bitten.
      Lebet wohl, beim Auferstehn
      Werden wir uns wiedersehn.“

      Ein abgeklärter Humor zeichnete die Altbayern immer schon aus, wenn es ans Sterben ging. Daher ist die Inschrift auf dem uralten Grab einer Köchin im ehemaligen Regensburger Friedhof St. Jakob sicher keine Fälschung. Hier steht zu lesen:

      „Auf dieser Welt ist ausgekocht,
      Der Tod hat bei mir angepocht,
      Ich muß von hinnen reisen,
      Dort koch ich andre Speisen.“

      Wie gesagt, früher gehörte der Tod ganz selbstverständlich zum Leben. Und wie der liturgische Kalender das Triumphfest Allerheiligen und den stillen Totengedenktag Allerseelen untrennbar miteinander verbunden hat, so lässt sich der gläubige Mensch durch den schmerzlichen Verlust eines lieben Angehörigen nicht in seinem Vertrauen auf den guten Gott irre machen, der Lebende und Tote in seiner Hand hält.

       

      Die grauslichen „Memento-Sargerl"

      Früher, da endete so ziemlich jedes persönliche Gebet mit der Bitte um die ewige Ruhe für „alle abgestorbenen christgläubigen Seelen“ und um das ewige Licht, das ihnen leuchten möge.

      Und allerorten gab es Bruderschaften, die sich den Gebetsbeistand für die Armen Seelen zur Aufgabe gemacht hatten – aus der Solidarität der Glaubensgemeinschaft heraus. Allein in Bayern sind seit dem 14. Jahrhundert 212 Bruderschaften gegründet worden, welche die „Armen Seelen“ im Namen führten.

      Die Rosenkranzbruderschaft von St. Mariaberg bei Raitenhaslach zum Beispiel verpflichtete ihre Mitglieder, jeweils abwechselnd zu einer bestimmten Stunde des Jahres für die im Sterben liegenden Bruderschaftsangehörigen zu beten – eine nie abreißende Kette guter Gedanken.

      Die „Ars bene moriendi“, die „Kunst, gut zu sterben“, wurde in früheren Zeiten so ernsthaft trainiert wie heute Wellness- und Entspannungsprogramme für die junge moderne Bildungsschicht. Man muss dafür nicht gleich so makabre Beispiele heranziehen wie die „Memento-Sargerl“ des Barock. Das war filigrane Schnitzware, aus der grün bemalte, von Würmern aus Leimmasse halb abgefressene Skelette grinsten. Mindestens genauso wirksam für die Alltagsfrömmigkeit waren die zahllosen Faltbildchen, die elegant gekleideten Damen und Herren ein Knochengerüst als Unterleib verpassten. Heutigen Wohlstandsmenschen muten auch die „Geistlichen Uhren“ makaber an. Auf denen schlägt der Tod die letzte Stunde mit seinem Hammer an.

       

      Seelenweck und Seelenspitz

      Gegenwärtig sind nur noch schwache Erinnerungen an die einstige enge Verbundenheit mit den Armen Seelen übriggeblieben, etwa der „Seelenwecken“ oder „Seelenspitz“, der aus einfachem Hefeteig geformt war. Heute stilisiert ihn der Bäcker zu einer kleinen Buttercremetorte. Früher bekamen vor allem Patenkinder und Enkel solch einen Wecken – in der Form einer Seele, wie man sie sich eben vorstellte – und bedankten sich dann artig mit einem „Vergelt's Gott für die Armen Seelen“. 

      Die „Allerseelenmaß“, die einstmals umsonst an Stammgäste ausgeschenkt wurde, ist natürlich genauso ausgestorben wie die „Seelenbrezel“. Die legte man verstorbenen Angehörigen aufs Grab. In Luckenpaint im Landkreis Regensburg verehrten junge Männer der Angebeteten gern  ein „Allerheiligen-Spitzl“. Das galt auch als diskreter Heiratsantrag.

      Kulturgeschichtlich interessante Orte stellen auch die wenigen verbliebenen Karner oder Beinhäuser dar. In dem riesigen Kapellenunterbau in Chammünster hat man im Jahre 1820 vergessene unterirdische Tonnengewölbe mit rund zehntausend Totenschädeln und zahllosen menschlichen Knochen entdeckt. Sie sind bis zu zwei Meter hoch in schaudererregender Fülle aufgetürmt.

      Wissenschaftler haben festgestellt, dass diese Gebeine zu einem bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden Friedhof gehörten, auf dem nicht nur die Stadt Cham, sondern auch drei Dutzend Ortschaften des Umlandes ihre Toten bestattet hatten. Irgendwann war der Gottesacker dann allerdings voll. Als er aus allen Nähten platzte, trug man die Schädel und Knochen zu einem Haufen zusammen. Dann mauerte man die Kapelle einfach zu ...

      Christian Feldmann