Vieles, was normalerweise live geschieht, passiert jetzt am Computer. Das ist auch beim Kinderpalliativteam so. „Wir können uns als Team nur noch online treffen“, sagt Schellenberger. Was schon in einer Firma schwierig ist, stellt das 15-köpfige Team vor immense Herausforderungen. Denn bei den regelmäßigen Treffen geht es nicht nur um kalte Fakten, sondern auch um das, was jeder einzelne bei den Einsätzen erlebt. Oft ist es so aufwühlend, dass es den Beistand der anderen Teammitglieder braucht, um mit der Situation fertig zu werden. Jetzt aber darf man sich nicht mal mehr in den Arm nehmen.
Stattdessen muss man sich neu organisieren. „Wir können derzeit nicht so arbeiten, wie unser Konzept das vorsieht“, sagt Schellenberger. Familien werden etwa nur noch von einer Person besucht. Normalerweise nimmt die Ärztin immer entweder eine Pflegekraft, die Psychologin oder die Sozialarbeiterin mit. Vier Augen sehen mehr als zwei. Und gerade, weil die Situation in allen Familien schwierig ist, braucht es mehr als nur die ärztliche Kompetenz. Die wenigsten Familien sind nur mit einem einzigen Problem konfrontiert – nämlich damit, dass ein Kind schwerstkrank oder schwerstbehindert ist.
Manche Eltern sind wegen der aufwendigen Pflege nicht nur am Rande ihrer psychischen, sondern auch ihrer Finanzkraft. Manchmal ist nicht nur das Kind lebensbedrohlich erkrankt, zusätzlich müssen Eltern oder Schwiegereltern gepflegt werden. Auch mit Sucht hatte das Team schon zu tun. Mit keiner Problematik lässt man die Familien allein: „Wir überlegen immer, wo es Hilfe geben könnte.“
Die Kraft schwindet
Der Dienst versucht, ein Optimum an Unterstützung über das Medizinische und Pflegerische hinaus zu bieten. Doch er selbst wird dabei ziemlich alleine gelassen. Psychosoziale Begleitung in der ambulanten Kinderpalliativversorgung refinanzieren die Krankenkassen nur minimal. Das ist ein großes Problem für die Malteser. Und stößt bei der Ärztin auf Kritik. „Wir müssen ganzheitlich arbeiten“, betont sie.
Sowohl die Kinder als auch die Angehörigen brauchen nicht nur medizinische, sondern auch psychologische und spirituelle Unterstützung. Dazu komme eben die aktuelle Situation. „Das, was uns sonst in unserer Freizeit Kraft gibt für unsere Arbeit, zum Beispiel, Freunde zu treffen oder ins Theater zu gehen, ist nun unmöglich.“ Kein Wunder, dass die Kraft allmählich schwindet: „Unsere Akkus werden immer leerer.“ Doch jeder kratzt jeden Tag neu seine Kräfte zusammen, um die Sache durchzustehen. Schließlich warten die kleinen Patienten und wollen versorgt werden.
Vor allem auch die Eltern können nicht auf die Unterstützung verzichten. Wobei jeder Fall unterschiedlich intensiv ist. „Manche Familien sehen wir nur alle drei Wochen, andere, und zwar solche, wo ein Kind im Sterben liegt, mehrmals täglich.“ Trotz Pandemie besuchen die Helfer sie weiterhin zu Hause. Sogar Musiktherapie ist nach wie vor daheim möglich. „Kurz vor dem Hausbesuch rufen wir an, dann sollte die Wohnung gelüftet werden.“ Nur ein Elternteil oder eine Pflegeperson darf beim Kind bleiben.
Zuhause sterben
Dass es den Dienst gibt, ist der Initiative und dem Mutder Malteser zu verdanken. 2016 begannen sie, das Team aufzubauen. Damals war noch nicht klar, wie der Dienst finanziert würde. Die Verhandlungen mit den Krankenkassen stellten sich als nicht einfach heraus. Erst nach längeren Querelen gelang eine Einigung.
Elke Schellenberger hatte sich damals intensiv in die Verhandlungen eingeklinkt. Für sie war der Dienst immer von großer Bedeutung. Als Oberärztin in der Missio-Kinderklinik hatte sie viele Kinder im Krankenhaus sterben sehen. Besser wäre es meist gewesen, man hätte die Kinder zu Hause versorgt. Das geht aber nur, wenn den Familien Spezialisten zur Seite stehen, die Tag und Nacht erreichbar sind. Also immer dann, wenn eine Krise eintritt. Oder wenn es aufs Sterben zugeht.
Pat Christ