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      Die Schweizergarde steht fü̈r Sicherheit nach innen und Repräsentation nach außen

      Bodyguards und Auskunftsstelle

      Schon wieder die gleiche Frage. Nein, hier ist nicht der Eingang zu den Vatikanischen Museen. Und ja, man darf zur päpstlichen Apotheke, aber nur mit Rezept. Und nein, zum Petersdom bitte weiter nach rechts durchgehen. „Es wäre ja schön, wenn die Leute, die nach Rom fahren, einfach mal einen Reisefü̈hrer lesen“, sagt David Meier, Schweizergardist.

      Ob echte oder gespielte Ahnungslosigkeit: Fast ununterbrochen tritt jemand auf den Wachhabenden am vatikanischen Sankt-Anna-Tor zu, bittet um Auskunft oder Einlass. Meier informiert, rät – und hält die draußen, die nicht rein dürfen. Dafür sind die Hellebardiere da, die das Territorium des Papstes bewachen, rund um den Petersdom, rund um die Uhr. Das Image der 1506 gegründeten Schweizergarde rangiert zwischen Show-Truppe und Sondereinsatzkommando. Die Realität verbindet Züge von beidem. Mit ihren farbenfrohen Renaissance-Uniformen ein millionenfaches Fotomotiv, leistet die Garde Personen- und Objektschutz, polizeiliche Gefahrenabwehr ebenso wie den sogenannten Ehrendienst bei päpstlichen Zeremonien. Aber „auch der Ehrendienst“, sagt der 22-jährige Meier aus dem Kanton Aargau, „ist eine handfeste Aufgabe.“

      Festes Wochenprogramm

      Handfest wie das Frühstück. Viertel nach fünf in der Mensa: Die Wachen der ersten Schicht nehmen ihren Morgenkaffee, hastig wie die meisten jungen Leute, die lieber länger schlafen als länger kauen. Hartgekochte Eier, Aufschnitt, Müsli, Joghurt, dargeboten unter einer nüchternen Glastheke. Zärtlich nur der Duft von frisch aufgebackenen Kipfeli und der Blick des Papstes von einem seiner allgegenwärtigen Porträts. „Mittwochs wird mehr gegessen“, sagt Andreas Imhof, ehemaliger Gardist und Mensa-Mitarbeiter im Ehrenamt. Mittwoch ist Audienztag, das bedeutet: langes Programm für den Ehrendienst statt Znüni (zweites Frühstück) auf der Wachtstube. Freitags hingegen räumt Imhof die Wurstwaren aus dem Kühlregal, damit gar nicht erst ein Versehen passiert. Am Tag des Leidens Christi sind Fleischspeisen nach katholischem Brauch tabu. Verglichen mit der Schweizer Armee geht es in der päpstlichen Kaserne „militärisch gleich“ zu, aber „das Leben ist familiärer“, sagt Cyrill Hof. Der 24-Jährige absolvierte seine Rekrutenschule, Voraussetzung für den Gardedienst, bei den Panzerfahrern in Biere im Kanton Waadt. Nach ersten Berufsjahren als Sanitärinstallateur meldete er sich bei der Garde. Jetzt bewohnt er ein Zweier-Zimmer; Schlaf- und Wohnbereich auf zwei Ebenen getrennt, klimatisiert, Fernsehen, Internetanschluss. Auf dem Bücherbord ein Italienisch-Lehrbuch, fünf Bände des Mittelalter-Romans „Legenden des Krieges“, die Bibel. Statt der kasernenüblichen Pin-ups ein Foto von Papst Franziskus. Um die Einhaltung seines Dienstplans kümmert Hof sich selbst. Auf den Fluren brüllt kein Spieß zum Wecken und Antreten. Die Schweizergarde will eigenverantwortlich handelnde Männer, und sie weiß, dass sie ihnen etwas bieten muss. Ein Einstiegsgehalt von 1500 Euro wirkt da nicht eben wie ein Lockangebot, auch wenn es für italienische Verhältnisse grundsolide ist und Kost und Logis obendrauf kommen.

      Nichtfinanzielle Mehrwerte

      Der Medienverantwortliche der Garde, Wachtmeister Urs Breitenmoser, führt daher auch nichtfinanzielle Mehrwerte ins Feld – das gute Ansehen des Gardedienstes, Fremdsprachenerwerb, Auslandserfahrung. Seit Jahren wirbt die Truppe mit einem attraktiveren Ausbildungsprogramm wie dem Training durch die Tessiner Kantonspolizei oder der Möglichkeit, sich zum Fachmann für Sicherheit und Bewachung weiterbilden zu lassen. Doch der Rekrutierungspool schrumpft – aus demografischen Gründen, aber auch weil immer weniger junge Katholiken die Eintrittsvoraussetzungen Militärdienst und Kirchenbindung mitbringen. Sechs Uhr, Petersdom. Der Vatikan ist für Besucher noch geschlossen, die größte Basilika der Welt menschenleer. Stille über dem Apostelgrab. Morgenwind geht durch die Portale, der Vorhang der ersten Kapelle im rechten Seitenschiff weht und gibt den Blick auf die Pieta frei, das Meisterwerk des jungen Michelangelo. Keinen gläubigen Katholiken lässt die Stimmung unberührt. „Um diese Zeit ist es noch ein Ort der Stille, zum Beten“, sagt Breitenmoser. Draußen, am Platz der Glaubenskongregation, lösen die Wachhabenden unterdessen die schweren Metallbolzen des Eisentores aus der Verankerung und schieben die Flügel auf. Hier, am sogenannten Cancello Petriano, ist einer der Haupteingänge für Angestellte, Lieferanten, Handwerker. Mit dem steigenden Tag fließt der kleine Berufsverkehr so lebhaft und geschmeidig in den Vatikan wie auf ein beliebiges Werksgelände. Nur dass es faktisch eine Staatsgrenze ist, die kontrolliert werden will. Die Aufgaben der Garde sind gewachsen, aber sie hinkt ihrer Sollstärke von 135 Mann ein gutes Stü̈ck hinterher. Der Dienstplan geht von 150 Stunden pro Monat aus, viele kommen auf 180. „Es passiert öfters, dass wir an Reservetagen einen zusätzlichen Dienst zugeteilt bekommen“, sagt Breitenmoser – wenngleich die intensivere Nachwuchswerbung ihm zufolge Früchte zeigt. Dass die Truppe mehr zu tun hat, hängt nicht zuletzt mit der veränderten globalen Sicherheitslage zusammen. Nach der Gendarmerie, dem eigentlichen Polizeikorps des Vatikan, verfügt inzwischen auch die Schweizergarde über eine eigene Sicherheitszentrale. Zwei Räume unter dem Apostolischen Palast, deren genaue Lage nicht publik werden soll. Wandfü̈llende Bildschirme zeigen das Geschehen an neuralgischen Orten des Kleinstaats.

      Kurze Reaktionszeiten

      Wer hier Dienst tut, dem muss man „Druck zumuten“ können, sagt Breitenmoser. Es geht um die Zumutung, nicht um maximale Performance. Vom Mann im Kontrollraum wird erwartet, dass er auch nach Stunden trügerischer Routine nach allen Seiten rasch und sicher kommuniziert, wenn eine angespannte Situation eintritt. „Die Reaktionszeiten sind kurz“, sagt Breitenmoser und deutet auf die gedrängten Personen auf einem der Monitore. „Jeder kann eine Bedrohung sein.“ Das kriegen schon die Rekruten beigebracht. Man sollte „einen gewissen Respekt haben“ nach Anschlägen wie in Paris oder London, Nizza oder Berlin, sagt Hellebardier Hof. „Angst kann auch schützen.“ Es ist später Morgen, Hof dient als Schildwache beim Arco delle Campane, der Durchfahrt links neben dem Petersdom zur Papstresidenz Santa Marta. Ein Job, der keine Regung verlangt, als vorbeikommende Prälaten militärisch zu grüßen. In seiner antiken Tracht, die Hellebarde in der Hand, wirkt Hof wie schmückendes Beiwerk. Aber unter dem Wams mit Pluderhosen trägt er das Sprechfunkgerät mit Alarmknopf. Ein Botschafter hat sich angekündigt, er soll dem Papst sein Akkreditierungsschreiben übergeben. Ein Fall für das Ehrenpikett: Gardisten empfangen den Diplomaten bei der Anfahrt im Damasus-Hof des Apostolischen Palastes und geleiten ihn gemessenen Gleichschritts durch die Prunksäle. Zwei Dutzend Mann sind damit in der Disposition blockiert, ein Viertel der Truppe.

      Kontinuierlicher Drill

      Und die müssen auch noch vorher zum Aufwärmtraining in den Exerzierhof. Kommandos, Haltung, Halskrause – alles muss sitzen. Es ist so etwas wie psychologische Kriegsfü̈hrung am Heiligen Stuhl: Ein Gast soll den Eindruck bekommen, es mit einem traditionsschweren, perfekt funktionierenden Apparat zu tun zu haben. Der kontinuierliche Drill erinnert im Übrigen daran, dass die Garde eigentlich Ausbildungsbetrieb ist: Von den 26 Monaten Pflichtdienst geht ein erheblicher Teil in militärisches Training, Sprachunterricht und das Büffeln von Personen. Wer die Zentrale der katholischen Kirche schützt, muss schließlich ihre wichtigsten Köpfe nach Gesicht, Name und Funktion kennen. Das Mittagessen findet gestaffelt statt, je nach Dienst und Arbeitslage, bei schönem Wetter wenigstens im Freien. Pausenzeiten sind knapp. Während die Letzten kommen, rüsten sich andere schon für einen Nachmittagseinsatz. Der Papst unternimmt einen Bistumsbesuch südlich von Rom; vier Gardisten fahren mit der Gendarmerie zur Sicherung und Kontrolle der Veranstaltungsorte voraus, im schwarzen Anzug, nicht in Gala. Der Nahschutz obliegt Dienstgraden, die die nötige Erfahrung und Ausbildung besitzen. Auch hier haben die Einsatzstunden zugenommen, etwa seit der Papst im Gästehaus Santa Marta wohnt, und die Garde auch zur Begleitung von italienischen Inlandsreisen herangezogen wird. Personell ein knapp geschnittenes Wams.

      Freizeitprogramm

      Derweil brandet an den Toren im Vatikan die letzte Besucherwelle des Tages an. Zum x-ten Mal die Frage nach den Vatikanischen Museen, die Bitte um Erlaubnis für ein Foto. Für David Meier, den Hellebardier am Anna-Tor, ist es auch ein „Repräsentationsdienst“ gegenüber Menschen, denen die Welt des Glaubens fremd ist. „Wenn jemand dadurch einen Zugang zur Kirche bekommt, dann haben wir unser Ziel erreicht.“ Für die Gardisten gibt es ein schlichtes Freizeitprogramm, Sport, Italienisch-Lernen, Chatten mit den Leuten daheim. Nicht jeder mag sich ins römische Kneipengetümmel stürzen, nachdem er schon den ganzen Tag Tausende Touristen um sich hatte. Andere werden das Tor am Cancello Petriano schließen, die Bolzen sichern. Die Nacht hindurch bleiben einige auf Posten, gehen Patrouille, hüten im Wechsel das Wachtlokal am Arco delle Campane. Dort werden sie vielleicht noch einen beim Digestivo hängengebliebenen Monsignore oder späten Gast des Domus Sanctae Martae einlassen, nicht ohne den Namen in einer großen Kladde zu notieren. Am nächsten Morgen, vor sechs, wird Hellebardier Hof wieder durch die enge Pforte am Portone di Bronzo steigen und den Petersplatz überqueren, der dann einsam und still daliegt bis auf die rauschenden Brunnen und ein paar Möwen auf den Kolonnaden, während ü̈ber der Engelsburg langsam die Morgenröte aufzieht. Für diesen einen Moment gehört der Vatikan dann ihm, nur ihm, ihm ganz allein.     

      Burkhard Jürgens