Und fürwahr ist seit der Aufdeckung des Skandals viel Zeit ungenutzt vergangen, hat man sich lang mit einer gemeinsamen Linie schwergetan, hat manches bischöfliche Reden und Tun nicht gerade den Eindruck des unbedingten Willens zur Aufarbeitung hinterlassen. Lange herrschte in Sachen Aufarbeitung Ungleichzeitigkeit in den einzelnen Diözesen. Spätestens die Vorstellung der MHDG-Studie 2018 dürfte aber klargemacht haben, dass es einer grundsätzlichen, transparenten und unabhängigen Aufarbeitung nach einheitlichen Kriterien bedarf, die auch die systemischen Fragestellungen nicht ausblendet.
Eine Konsequenz, die man seitens der Deutschen Bischofskonferenz aus dieser Studie gezogen hat, ist die „Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland“, die Bischof Franz nun unterzeichnet hat (siehe dazu Seite 12). Gemeinsam steht in diesem Fall nicht nur dafür, dass sie in allen Diözesen gelten soll, sondern auch dafür, dass sie mit dem von der Bundesregierung eingesetzten „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ erarbeitet und abgestimmt wurde. Das hat zwar auch wieder Zeit gekostet, war aber richtig und wichtig als Signal der Transparenz, der Offenheit und des unbedingten Aufklärungswillens.
Die Erklärung und die darin vereinbarten Kriterien und Standards seien ohne Vorbild in Deutschland und könnten somit beispielgebend für andere gesellschaftliche Akteure sein, hieß es bei der Vorstellung der Vereinbarung im Jahr 2020. So hat die viel gescholtene Kirche mit dieser Erklärung, deren Umsetzung im Bistum Würzburg bereits läuft, wohl eine Vorreiterrolle übernommen. Denn Missbrauch ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Wolfgang Bullin