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      Wie der Alltag eines Bäckergesellen vom Arbeitsweg bis zum fertigen Brot aussieht

      Bäcker trotz(t) Sehbehinderung

      Alexander Koch hat eine Sehbehinderung – zehn Prozent Sehvermögen auf dem einen Auge, fünf Prozent auf dem anderen. Seiner Arbeit als Bäckergeselle geht er dennoch nach. Dabei muss er einige Hürden bezwingen. Es gibt aber auch Hilfsmittel, die ihm den Arbeitsalltag erleichtern.

      Auto fahren darf Bäckergeselle Alexander Koch wegen seiner Sehbehinderung nicht. Der öffentliche Nahverkehr aber steht noch still, wenn er früh beizeiten in die Bäckerei muss. Sein Chef Ullrich Amthor hat nicht nur dieses Problem gelöst, sondern auch für eine behindertengerechte betriebliche Ausstattung gesorgt.

      Trotz seiner Sehbehinderung arbeitet der 43-Jährige Alexander Koch seit vielen Jahren als Bäcker. Zuletzt in seinem Wohnort Mellrichstadt (Dekanat Bad Neustadt), wo er zu Fuß zur Arbeit gehen konnte.

      Engagierter Chef

      Jetzt ist seine Arbeitsstelle in Waltershausen angesiedelt, 16 Kilometer von Mellrichstadt entfernt. Ein Taxi fährt ihn nun jeden Tag hin und her. Das geht, weil Kochs Chef sich so stark für seinen Gesellen engagiert. Er hilft, weil Menschen mit Behinderung in besonderem Maße auf den Schutz und die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind und gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen wollen.

      Im Bäckerkittel nutzt Ullrich Amthor im hektischen Betriebsalltag eine Pause im Büro zum Durchatmen. Das ist ganz normal. Dass er aber die Zeit nutzt, dort in regelmäßigen Abständen in der Bibel zu lesen, besitzt Seltenheitswert. Die Bibel hat ihren festen Platz auf dem Schreibtisch. Der Brotsommelier hatte sie überraschend von einem Gast eines seiner Brotfeste 2015 geschenkt bekommen. Amthor: „Ich lese darin heute, wenn ich eine Entspannung brauche und erfahre an Beispielen verschiedene Situationen, wie sie immer wieder im täglichen Leben vorkommen. In der stillen Lesephase sind sie wichtige Hinweise und geben mir Kraft für den Alltag“.

      Symbolhaft für das Leben steht folgerichtig das Brot in der Bibel. Ullrich Amthor, Innungsobermeister der Landkreise Bad Kissingen/Rhön-Grabfeld, verwirklicht auch ein Backrezept, mit dem er sogenannte Bibelbrote herstellt. In seiner christlichen Gesinnung und Hilfsbereitschaft schreckte Ullrich Amthor die Beeinträchtigung des Bewerbers nicht ab. Er stellte Alexander Koch ein, weil er sah, in welch misslicher Lage er steckte. Er wollte ihm helfen, brauchte aber auch dringend betriebliche Unterstützung. Heute bei akutem Fachkräftemangel jemanden für die Backstube zu bekommen sei partout nicht einfach. „Dabei gibt es in meiner kleinen Bäckerei mit zwölf Mitarbeitern jede Menge zu tun“, erklärt der 59-Jährige. Ein paar Monate lang holte der Chef Alexander Koch sogar jeden Tag zur Arbeit ab. Doch den neuen Mitarbeiter ständig zu kutschieren, ging natürlich auch nicht.

      Taxi zur Arbeit

      Der positive Bescheid des Antrags beim Rentenversicherungsträger auf Zuschuss für ein Taxi zur Arbeit ließ lange auf sich warten. Obwohl die Behörde doch ein Interesse daran haben müsste, einen Arbeitssuchenden in eine sozialversicherungspflichtige Vollbeschäftigung zu bringen, wie Amthor meint. Nach einem Dreivierteljahr war das Ziel erreicht. Mit der Maßgabe, Alexander Koch habe sich selbst mit monatlich 185 Euro an den Taxi-Fahrtkosten zu beteiligen. Der Bescheid wurde auf zwei Jahre befristet, eine Verlängerung soll beantragt werden.

      Beteiligt waren an der ersten Genehmigungsprozedur neben Amthor auch der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund und die Handwerkskammer Unterfranken. Das Netzwerkunternehmen Inklusion im Berufsfachzentrum Schweinfurt und der damals zuständige Behindertenbeauftragte im Kreistag Rhön-Grabfeld, Alois Gensler, halfen ebenfalls. Denn allein hätte Amthor die komplizierte Prozedur neben seinem beruflichen Alltag wohl kaum geschafft.

      Für die Beteiligten ist längst klar: Der Aufwand hat sich gelohnt. Auch wenn in der Backstube durch Kochs Beeinträchtigung nicht immer alles auf Anhieb glatt läuft. Ullrich Amthor stört das nicht. „Alexander backt genauso wie andere Gesellen“, betont er. „Freilich muss er manchmal bei einer Rezeptur zwei- oder dreimal hinsehen“. Mit den Buchstaben und Zahlen, die man normalerweise auf den ersten Blick erkenne, tue sich Koch eben etwas schwer. Er brauche dann ein bisschen länger, aber diese Zeit gebe man ihm gerne. Für gewisse Defizite erhält Amthor einen „Nachteilsausgleich“ vom Inklusionsamt des Zentrum Bayern Familie und Soziales in Würzburg, wie er sagt. Den können Betriebe für schwerbehinderte Arbeitnehmer, die Unterstützung brauchen, beantragen.

      Wie beim Regenbogen

      „Ich sehe bei der Arbeit zwar Einiges auch ohne Lupe“, beschreibt Alexander Koch seine Sehbeeinträchtigung selbst, „im Prinzip ist es aber wie bei einem Regenbogen. Den erkenne ich in der Gesamtheit, aber nicht in den genauen Farben“. So könne er zum Beispiel nicht immer gleich erkennen, ob im hinteren Bereich des auf 220 Grad erhitzten Backofens das Brot fertig sei oder nicht. „Bevor ich es jedoch halb verkohlt heraushole, rufe ich lieber den Chef“, sagt Koch. Hilfe zu holen, um Missgeschicke zu vermeiden – das hat Koch mit der Zeit gelernt.

      Künftig wird ihm die Arbeit aber noch sicherer von der Hand gehen. Denn Amthor hat eine digitale Zutaten-Waage mit Rezept-Wiedergabe angeschafft. Rezepte werden in Großbuchstaben auf dem Bildschirm angezeigt, auf die Lupe kann Koch dann verzichten. Außerdem zeigen farbige Signale an, ob die Abmessung der Zutaten stimmt. 5500 Euro hat die Digitalwaage gekostet. Ein Zuschuss von rund 1300 Euro kam von der Rentenversicherung.

      Der Bäckergeselle ist froh, dass er von Ullrich Amthor so viel Unterstützung bekommt und fügt hinzu: „So einen guten Chef hatte ich schon lange nicht mehr“. Koch erzählt, dass seine Sehschwäche wohl in der Kindheit durch eine Hirnhautentzündung entstanden sei. „Ich ging in den Kindergarten, spielte mit Kameraden Fußball oder tollte mit ihnen ganz normal herum. Und merkte gar nicht, dass mir etwas fehlt“, so der 43-Jährige.

      Brille hilft nicht

      Erst in der Schule fiel die Sehschwäche auf. Auf eine Besserung kann er nicht hoffen. Auch eine Brille hilft ihm nicht. Man sieht ihm seine Sehbehinderung daher auf den ersten Blick nicht an. Erst, wenn er seine Leselupe zur Hand nimmt, um etwa eine Rezeptur zu lesen, fällt die Beeinträchtigung auf.

      Ullrich Amthor wurde für sein großes Engagement hinsichtlich beruflicher Integration längst geehrt. Das Berufsfachzentrum in Schweinfurt bedachte ihn mit der Auszeichnung „Best Practice“. Die Begründung: Der Bäckereichef zeige beispielhaft, wie man einem gehandicapten Menschen zu regelmäßiger Arbeit in Vollzeit verhelfen kann und es ermöglicht, einem Sehbehinderten wieder eine ordentliche Zukunftsperspektive zu geben.

      Josef Kleinhenz